Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
Luft vom Fluss sie kühlte. Ohne allzu große Mühe erreichten sie die Brücke. Sie spannte sich gefährlich hoch über den Fluss und war an beiden Enden an mächtigen Bäumen befestigt, deren Wurzeln sich tief in den steinigen Untergrund gegraben hatten. Obwohl sie scheinbar nur selten benutzt wurde, war sie wie der Unterschlupf in gutem Zustand. Alduin fragte sich, wer sie wohl instand gehalten haben musste.
Die Brücke sah aus, als wäre sie aus drei Strickleitern zusammengeknotet, die einen schmalen Steg bildeten. Zwei Seile, die Erilea nur bis zur Hüfte reichten, waren die Handläufe. So vorsichtig sie auch ihre Schritte setzten, dazu die Brise des unter ihnen rauschenden Wassers, schaukelte das luftige Gebilde wild in jede Richtung. Den Blick stur geradeaus gerichtet, kämpften sie sich Schritt für Schritt voran. Alduin wagte kaum zu atmen, bis sie sicher die andere Seite erreichten. Erleichtert ließen sie sich zu Boden sinken. »Geschafft«, meinte Alduin, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. »Was meinst du, wohin uns der Pfad jetzt führt?«
Sie sahen sich nach einem Hinweis um, doch von allen Seiten waren sie von steilen Felswänden umgeben.
»Hier gibt es keinen Pfad! Wir werden klettern müssen«, sagte Alduin.
»Lass uns zuerst etwas trinken«, schlug Erilea vor. »Es könnte ein langer Aufstieg werden. Und etwas essen möchte ich auch.«
Bedächtig kauten sie die getrockneten Früchte und Obst, denn ihnen war nur allzu klar, dass sie alle Kraft brauchen würden bei dem, was vor ihnen lag, und tranken einen Schluck Wasser. »Wenigstens wissen wir, dass es oben Wasser gibt«, sagte Alduin, nachdem er kurz Verbindung mit Rihscha aufgenommen hatte, der auf einem Baum am See über ihnen kauerte und sich müßig das Gefieder putzte.
»Hoffen wir, dass es auch etwas zu jagen gibt«, sagte Erilea. »Denn bei dieser Kost werde ich eher noch schrumpfen als weiterwachsen.«
Alduin lächelte und wollte gerade etwas sagen, überlegte es sich aber anders. Er verstaute die Essensreste, stand auf, half Erilea mit ihrem Bündel und schnürte sein eigenes mit Bogen und Köcher auf den Rücken.
»Sieh doch«, sagte er und zeigte auf den Felshang über ihm. »Es wird nicht einfach werden, aber es gibt reichlich Halt für unsere Füße und Hände. Packen wir es an.«
Der Aufstieg erforderte Vorsicht und Geduld. Obwohl sie langsam kletterten, kamen sie gut voran. Nach einer Weile jedoch wurde der Hang ungeschützter. Ein kräftiger Wind fegte in Böen von den Bergen herab. Erilea war so leicht, dass sie gegen den Wind ankämpfen musste. Sie presste sich gegen den Fels, so gut es ging, und kletterte Zoll für Zoll höher, wenn der Wind sich eine Atempause gönnte. Sobald er wieder zunahm, klammerte sie sich mit ihren Fingern in den Ritzen fest. Alduin, der schon ein ganzes Stück höher geklettert war, bekam nicht mit, in welchen Schwierigkeiten sie steckte. Je öfter sie warten musste, desto weiter entfernte er sich von ihr. Sie rief ihm zu, doch der Wind riss den Klang ihrer Stimme mit sich.
Einen Moment später wurde sie von einer Böe erfasst, die ihr zusammengebundenes Haar löste. Die Strähnen schlugen ihr ins Gesicht und raubten ihr die Sicht. Als der Wind wieder nachließ, griff sie mit der linken Hand nach hinten und versuchte, ihre Haare wieder zusammenzubinden. Doch in dem Moment riss ihr die nächste Felsen fest, doch sie konnte kaum noch Halt finden. Es dauerte nicht lange, bis die angespannten Muskeln sich vor Anstrengung zu verkrampfen begannen. Schmerzen durchzuckten ihren Arm und zwangen sie, ihre Finger zu öffnen. Sie kämpfte gegen die Tränen an und schwang den freien Arm mit einer fast übermächtigen Anstrengung nach oben. Mit letzter Kraft fand sie Halt. Und keinen Moment zu früh.
Zu ihrer Erleichterung ließ der Wind im selben Augenblick nach, und ihre Füße fanden wieder Halt. Sie schüttelte den Arm aus, um ihre Muskeln zu entspannen. In diesem Moment dachte sie nicht darüber nach, wie knapp sie dem Tod entronnen war. Sie musste weiter.
Sie schloss die Augen, holte tief Luft und konzentrierte ihre Gedanken - erst eine Hand, dann den Fuß, die andere Hand, der andere Fuß -, bis daraus gleichsam ein Mantra wurde, das nichts anderes in ihren Verstand ließ als einzig den Willen, den Fels zu bezwingen.
Zu ihrer eigenen Überraschung war es das, was sie rettete. Plötzlich hatte sie nicht mehr das Gefühl, in einer steilen Felswand zu hängen; links, rechts, oben, unten - alles
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