Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
zwei Frühlingen zum ersten Mal in die Falkenhalle gekommen war. »Vielleicht sollte ich sie holen.«
Meister Calborth ließ sich Zeit mit seiner Antwort. In Gedanken versunken, räumte er die schmutzigen Lappen weg und sammelte die Haarsträhnen auf. Erst als der Tisch wieder sauber war, wandte er sich Alduin zu und nickte mit ernster Miene. »Wo hält sich Aranthia gerade auf?«
»Sie wollte mit Bardelph den Sommer über in der Hütte am Mangipohr verbringen. In der Stadt gibt es während der heißen Tage wenig Arbeit für sie, und meine Mutter liebt die Ruhe dort.«
Meister Calborth nickte wieder. Dann ging er einen Schritt auf den Tisch zu. »Vielleicht ist sie tatsächlich die Einzige, die ihm noch helfen kann.«
Alduin sah ihn fragend an. »Ihr meint, weil sie Heilerin ist? Es gibt doch so viele Heiler in Saforan. Warum ausgerechnet sie?«
Der Falkenmeister wiegte bedächtig den Kopf. »Deine Mutter weiß weit mehr als die gewöhnlichen Heiler hier in der Stadt. Aber was noch viel wichtiger ist ...« Er brach ab.
»Was meint Ihr mit Euren Worten, Meister Calborth?«, drängte Alduin. »Warum kann nur sie ihm helfen?«
Meister Calborth blickte ihn eindringlich an. »Um die Wahrheit zu sagen: Ich denke, Cal ist im Bund mit seinem Falken Krath gefangen und hat sich irgendwo verirrt. Vielleicht gelingt es Aranthia, ihn zurückzurufen. Du weißt noch, damals ...«
Alduin wusste sofort, was der Falkner meinte. Blitzartig kehrte die Erinnerung an seinen ersten Flug mit Rihscha zurück. Er war zusammengebrochen und hatte sich in einer Zwischenwelt verloren. Nur seiner Mutter war es gelungen, ihn wieder zurückzuholen.
Unwillkürlich schüttelte er den Kopf. Die Gedanken an den Tod, dem er so nahe gewesen war, wollte er ganz schnell wieder verdrängen. Andererseits - vielleicht hatte der Falkenmeister recht mit dem, was er sagte. Ein eiskalter Schauder jagte ihm über den Rücken.
»Aber wo ist dann Krath?«, wollte Alduin wissen.
Der alte Raide seufzte. Erschöpfung zeichnete sich in seinen Zügen ab. »Ich wünschte, ich wüsste es.« Die Stimme des Meisters klang sehr ernst. »Bei alledem habe ich ein ganz seltsames Gefühl. Gefällt mir ganz und gar nicht.«
Alduin schwieg eine Weile und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. »Mir auch nicht«, sagte er schließlich kurz entschlossen. »Aber ich bin sicher, es gibt eine Erklärung und auch eine Lösung. Aranthia wird uns helfen. Ich packe schnell ein paar Sachen zusammen und breche gleich auf zur Hütte meiner Mutter. Das heißt, falls Ihr es mir gestattet.«
Calborth bedachte ihn mit einem Lächeln.« Du bist nicht mehr mein Lehrling, Alduin. Du bist jetzt ausgebildeter Falkner von Nymath. Brauchst keine Erlaubnis mehr. Von niemandem. Aber ich halte deine Entscheidung für sehr weise. Reise, so schnell du kannst. Vielleicht können die beiden Katauren dir helfen. Aber zuerst komm mit.«
Der Falkenmeister führte ihn zu einer der kleinen Kammern im Eingangsbereich der Falkenhalle, in der die Jagdausrüstungen aufbewahrt wurden. Er begann, in einer Ecke zu stöbern, als suche er nach etwas ganz Bestimmtem. »Da ist er ja«, freute er sich schließlich und drehte sich zu Alduin um. »Das war der erste Bogen deines Vaters. Er hat ihn mit seinen eigenen Händen geschnitzt. Doch nach ein paar Jahren wurde er zu klein für ihn. Für dich dürfte er noch eine Weile gute Dienste tun.«
Der gekrümmte Bogen war von schlichter Machart, dennoch sah Alduin auf den ersten Blick, dass sich jemand mit der Verarbeitung viel Mühe gegeben hatte. Das Eibenholz war liebevoll mit einem Federmuster verziert, das über den ganzen Bogen verlief - der Griff in der Mitte aus einem kräftigen Stück Leder, vernäht mit einem Riemen. Dazu reichte der Meister Alduin einen Köcher. Zu seiner Überraschung erkannte er darauf das eingravierte Muster seines Falknerhandschuhs: den fliegenden Falken. Während er die Waffe in der Hand wog, suchte Calborth ein Dutzend Pfeile zusammen.
»Gewiss hast du deine eigenen Pfeile, aber hier sind noch ein paar mehr«, meinte er und steckte sie in den Köcher.
Alduin schulterte die Ausrüstung und verneigte sich ehrfürchtig vor seinem Meister mit den Händen auf der Brust. Nach einem Augenblick des Zögerns trat er einen Schritt vor und umarmte den alten Mann innig.
»Auf Wiedersehen, Meister Calborth. Wohin der Weg mich auch immer fuhren wird, Euer guter Rat wird mich stets begleiten. Möge Gilian über Euch wachen.«
Alduin brauchte
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