Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
geringschätzigem Blick. »Der Bursche ist ziemlich von sich eingenommen«, sagte Cardol, kicherte und tätschelte den Hals des Pferdes. »Meine Erklärung scheint ihm nicht sonderlich zu gefallen, trotzdem - es ist die Wahrheit.«
Nachteule schnaubte.
»Und das?«, Alduin zeigte auf die Stute und klopfte ihr den Hals.« Wer ist das?«
»Das ist Fea Lome. Den Großteil ihrer drei Winter hat sie oben in der Nähe von Wilderwil verbracht. Sie dürfte es kaum erwarten können, endlich aus der Stadt rauszukommen.«
»Und hat ihr Name auch eine Bedeutung?«, wollte Alduin wissen.
»Ja, das hat er: Er bedeutet Geist der Abenddämmerung«, antwortete Cardol. »Wenn sie quirlig ist, nenne ich sie einfach nur Fea, wenn sie zahm und ruhig ist, Lome.«
Alduin lachte. Der Name passte wirklich gut zu der Stute. Kopf, Mähne, Schweif und Fesseln waren dunkelgrau, der Rest des Körpers weiß und grau meliert. Es sah so aus, als trüge sie von den Ohren bis hinunter zu den Sprunggelenken ein schimmerndes Gewand. Trotz ihrer Größe wirkte sie ausgesprochen anmutig, und Alduin fühlte sich auf Anhieb mit dem Tier verbunden.
»Kommt sie mit einem unerfahrenen Reiter zurecht?«, fragte er unsicher und streichelte ihren Hals.
»Erfahrung ist weit weniger wichtig als Selbstvertrauen«, entgegnete Cardol. »Sie muss nur spüren, wer das Sagen hat. Aber keine Sorge, wir werden es langsam angehen, damit ihr Zeit habt, euch aneinander zu gewöhnen.«
»Wird sie sich vor Rihscha fürchten?«, fragte Alduin.
»Ruf ihn einfach herunter und probier's doch mal aus. Ich bezweifle, dass diese Pferde Panik kennen. Sie werden für weit gefährlichere Einsätze ausgebildet.«
Alduin hob die Faust und rief Rihscha herbei. Der Falke zögerte kurz, dann stürzte er herab und kauerte sich mit einem besitzergreifenden Ruf auf den Lederhandschuh. Fea Lome ließ die Aktion unbeeindruckt. Ihr war viel eher daran gelegen, Cardols Arm zu stupsen, damit er endlich den Apfel rausrückte, den sie in seiner Tasche witterte.
»Siehst du? Sie scheint sich nicht an Rihscha zu stören«, beruhigte ihn Cardol, während die Stute genüsslich den Apfel kaute. »Was dein Falke wohl davon hält, sich auf den Sattelknauf zu hocken?«
Alduin setzte den Falken behutsam darauf, doch das Stück Leder war zu kurz, um sich festzukrallen. So hopste der Vogel auf den Widerrist der Stute und machte es sich dort bequem. Fea Lome scharrte mit einem Huf und schüttelte den Kopf, doch gleich darauf beruhigte sie sich wieder.
»Scheint, als würde es klappen«, meinte Cardol und reichte Alduin nun auch die Zügel von Nachteule. »Wir brechen gleich auf. Warte nur kurz, ich will mich noch bei meinem Befehlshaber abmelden.«
Allein gelassen, umfing Alduin ein übermächtiges Gefühl von Stolz und freudiger Erregung.
So viel war heute geschehen, so viel Unglaubliches, dass es ihm schwerfiel, all das zu begreifen. Noch vor der vierten Glocke hatte er am Fenster seines Zimmers gestanden. Und dann hatten sich die Ereignisse überschlagen. Ein bewusstloser Fremder von rund einundzwanzig Wintern sollte nun plötzlich sein Vater sein. Schon gleich würde er sich mit Rhischa aufmachen, um den einzigen Menschen zu holen, der die Wahrheit kennen musste: Aranthia, seine Mutter.
Gewiss, diesmal war es keine der üblichen Wanderungen in unbekannte Gefilde, vielmehr eine ungemein stilvolle Reise zu Pferde! Er hätte sich so sehr gewünscht, Erilea noch einmal vor seiner Abreise zu sehen oder herauszufinden, wo sie sich aufhielt. Jetzt war ungewiss, ob und wann er ihr wieder begegnen würde. Und dieser Gedanke legte einen Schleier über seine gute Stimmung.
»In Ordnung, Junge. Steigen wir auf.« Cardol war zurückgekehrt und riss Alduin aus seinen Gedanken. »Du kannst die Steigbügel kürzer schnallen, deine Beine sind noch nicht so lang, wie sie es eines Tages mal sein werden. Ich halte die Pferde derweil für dich.«
Rihscha beobachtete mit leicht geneigtem Kopf, wie Alduin mit den Riemen kämpfte, bis sie endlich die richtige Länge hatten und er sich anschließend in den Sattel schwang.
»Brave Lome«, murmelte Cardol der Stute ins Ohr.
Alduin tätschelte etwas verunsichert ihren Hals und rückte ein wenig vor und zurück, bis er bequem im Sattel saß. Cardol schwang sich auf Nachteule und zwinkerte ihm zu.
»Denk immer dran: Du bist es, der die Zügel in der Hand hält!«
Sie nickten Ferl, der ihre Abreise beobachtet hatte, noch einen Abschiedsgruß zu, dann bahnten sie
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