Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
felsigen Schlucht, die den Wald von den noch dichteren Laubwäldern rund um Alduins altes Zuhause trennte.
Kurze Zeit später erreichten sie eine Lichtung. Die Sonne stand im Westen und blendete so sehr, dass sie knapp der Schlucht entgangen waren, die sich jäh vor ihnen auftat. Doch die beiden Pferde, von ihrem Instinkt geleitet, verharrten abrupt vor der Tiefe.
»Guter Junge«, lobte Cardol Nachteule und klopfte seinem Hengst den Hals. Das Tier schnaubte überheblich und scharrte mit dem Vorderhuf. Alduin wusste inzwischen, dass Nachteule und Cardol eine innige Freundschaft verband und der Kataure längst nicht mehr auf die Launen seines Hengstes einging. Er spähte über den Rand der Schlucht, dann sah er nach links und nach rechts. »So viel zu einem Pfad zum Elbenwald«, meinte er bärbeißig und zuckte mit den Schultern. »Das ist eine Sackgasse. Hier kommen wir keinen Fuß weiter.«
Alduin war abgestiegen und ging vorsichtig an den Rand der Klippe, die gut drei Mannslängen steil zu einem schmalen Bach abfiel.
»Ich weiß haargenau, wo wir sind«, rief er. »Als ich das letzte Mal hier war, konnte man den Fluss mit einer Hängebrücke überqueren. Im Frühjahr rauscht eisiges Wasser hier durch und viel Geröll. Aber im Sommer fließt er nur langsam und ist ziemlich flach. Frage mich bloß, wo die Brücke geblieben ist.«
Er ging auf die Knie und bückte sich tief über den Rand. »Hier, ich sehe sie!«, rief er aufgeregt. »Verflixt! Sie hängt ein Stück tiefer an einer Wurzel fest. Wie es aussieht, hat sie sich auch auf der anderen Seite gelöst.« Seine erste Freude wich maßloser Enttäuschung, als er begriff, was das für sie bedeutete. »Wie sollen wir denn jetzt rüberkommen?«
Cardol stieg ab, führte die Pferde ein Stück zurück in den Wald und band sie dort an einem Baum fest.
Als er wieder zurückkam, sah er, was geschehen war. Frühlingsstürme und Verwitterung hatten die hölzernen Pfosten morsch und brüchig gemacht. Als er mit den Stiefeln die Wildkräuter beiseite trat, die die Uferlandschaft überwucherten, fand er nur noch die abgebrochenen Stümpfe vor.
»Was für ein vermaledeites Pech«, brummte der Kataure verärgert. »Schätze, dieser Pfad ist schon ewig nicht mehr benutzt worden. Verdammt, warum haben wir nur auf Tirla gehört.«
»Fluchen hilft jetzt auch nichts«, sagte Alduin. »Wir müssen etwas unternehmen. Wir verlieren einfach viel zu viel Zeit, wenn wir den ganzen Weg wieder zurückreiten - jetzt, wo wir doch schon so nah am Ziel sind.« Er kniff die Augen zusammen und blickte über die Schlucht zum Wald auf die andere Uferseite. »Sieh nur, ich glaube, da drüben steigt Rauch aus unserem Kamin auf.« Alduin hatte das Gefühl, dass sein Herz für einen Moment schneller schlug.
Cardol folgte seinem Blick. Tatsächlich schlängelte sich eine dünne blaue Rauchschwade in den Himmel empor.
»Ich kann den Braten von hier aus schon riechen«, sagte er, atmete genüsslich durch die Nase ein und rieb sich dabei den Bauch. »Lass uns noch mal überlegen, ob uns da nicht doch etwas einfällt.« Er spähte über den Abgrund und kratzte sich am Bart. Die Schlucht war zwar tief, aber nicht besonders breit. Auf der gegenüberliegenden Seite schien der Felsen nicht ganz so steil. Alduin und Cardol konnten einen schmalen Ziegenpfad erkennen, der sich am anderen Ufer in engen Serpentinen nach oben wand.
Ächzend legte Cardol sich flach auf den Bauch, schob sich vor, soweit er es wagen konnte, ohne abzustürzen, und tastete blindlings nach der Brücke. Doch was er zu fassen bekam, war nicht mehr als Felsgestein. »Es hat keinen Zweck«, sagte er ernüchtert, als er sich wieder hochrangelte. »Die Brücke hängt zu tief.« Dann kam ihm eine Idee. Er lief zu den Pferden und kam zurück mit einem Seil. Alduin sah ihn fragend an.
»Das ist einen Versuch wert. Aber dafür brauche ich deine Hilfe«, sagte der Kataure. »Hast du Höhenangst?«
Der Junge grinste. »Ich bin ein Falkner!«
Cardol schlug sich mit der Hand auf die Stirn. »Stimmt, hätte ich fast vergessen!«
»Schon gut«, gab Alduin zurück. »Was habt Ihr vor?«
»Wenn ich dich an den Knöcheln packe, könntest du dich hinunterhangeln und das Seil um einen der Holzstümpfe schlingen. Gelingt dir das, kann Nachteule die Brücke heraufziehen.«
Alduin hatte sofort verstanden. Cardol gab ihm das Seil in die Hand und ließ ihn langsam über den Rand des Abgrunds gleiten.
Doch erst jetzt wurde Alduin bewusst, worauf er
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