Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
die Nacht wohl hier oben verbringen müssen!«
Cardol lief zu ihm herüber.
»Ach, das ist ganz normal. Lass mich dir helfen.«
Alduin konnte kaum mehr tun, als sich direkt in Cardols ausgestreckte Arme fallen zu lassen. Er fühlte sich um Jahre gealtert. Nur mühsam richtete er sich auf, humpelte zum Bach hinüber, bückte sich ächzend und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser.
Cardol konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als er die Kochutensilien auspackte.
»Heute Abend kannst du dich ausruhen. Ich werde das Essen zubereiten«, bot er mitfühlend an. »Aber das wollen wir nicht etwa zur Gewohnheit werden lassen.«
Alduin war beschämt. Doch auf keinen Fall würde er sich jetzt hinlegen.
»Es ist besser, wenn ich mich bewege. Ich sammele Holz für unser Feuer.«
Als Alduin schweren Schrittes mit trockenen Ästen und Reisig zurückkam, hatte Cardol schon alles für die Abendmahlzeit vorbereitet, Zwiebeln, Wurzeln und Wurst geschnitten und Kräuter am Bach gesammelt. Geschickt entfachte er das Feuer und stellte die Pfanne darauf. Binnen kürzester Zeit strömte ein köstlicher Duft durch die Nachtluft. Friedlich genossen sie das fürstliche Mal und gedachten dabei der guten Marla, die sie so vortrefflich ausgerüstet hatte. Nach dem Essen spülten sie die Pfanne im Bach, packten die übrig gebliebenen Vorräte zusammen, rollten sich müde in ihre Decken und fielen sehr bald in einen tiefen Schlaf.
Längst waren sie schon wieder unterwegs, als die Sonne am nächsten Morgen langsam über die Baumwipfel kletterte. Alduins Knochen schmerzten unbeschreiblich, er spürte jeden einzelnen seiner Muskeln, und es kam fast einem Wunder gleich, dass er schon wieder im Sattel saß.
Die beiden Reiter legten ein gutes Stück des Weges zurück, während Rihscha sich in die Lüfte erhob, um zu jagen. Einige Zeit später kehrte der Falke, ganz offensichtlich gesättigt, angeflogen und machte es sich wieder auf dem Widerrist der Stute bequem.
Alduin ließ seinen Blick schweifen: Die Bäume standen in voller Blüte, zu beiden Seiten wuchsen Wildblumen in vielen Farben, und der Weg erstreckte sich vor ihnen in einer klaren Linie durch die Natur. In diesem Moment empfand er, dass er sehr viel bewusster beobachtete, dass sein Blick schärfer geworden war, dass die Farben in einer Kraft schillerten, die ihm bislang nicht aufgefallen war. Auch Gehör und Geruchssinn schienen ausgeprägter. Es war, als wären seine Sinne wachsamer und stünden in noch innigerem Einklang mit der Natur. Ob es daran lag, dass er selbst reifer geworden war? Ob der Bund mit Rihscha dazu beitrug, seine Sinne zu vertiefen?
Kurz vor Mittag zügelte Cardol seinen Hengst an einer Weggabelung und zeigte zu ein paar Gebäuden, die sich hinter den Bäumen verbargen. »Dort wohnt Grest, einer meiner Vettern«, sagte er. »Nur wenige Katauren leben so weit im Süden. Er hat sich mit seinem Vater überworfen und ist kurzerhand weggezogen. Gewiss hat er eine Kanne Calba auf dem offenen Feuer und frisches Brot im Ofen.«
Er warf Alduin einen fragenden Blick zu. »Es gibt doch sicher nichts gegen eine kurze Rast einzuwenden, oder?«
Alduin wog ab: »Gerne würde ich noch heute Nacht die Hütte erreichen. Bis nach Lemrik ist es ein gutes Stück. Von dort aus steht uns dann immer noch eine halbe Tagesreise bevor - entlang dem Mangipohr.«
Cardol grinste. »Kein Problem. Ich werde mich mit dem Familienklatsch kurz fassen«, lachte er.
Als sie sich dem Hauptgebäude näherten, kündete wachsames Bellen bereits den Besuch an.
»Ruhig, ihr faulen Taugenichtse. Die ganze Nacht schlaft ihr und hört nie was. Dann kläfft ihr am Tag schon beim kleinsten Geräusch«, drang eine kräftige, melodische Stimme aus dem Haus. Kurz darauf tauchte eine hochgewachsene Frau am Eingang auf.
»Tirla, ich bin's! Cardol«, rief der Kataure ihr fröhlich zu. Die beiden Reiter stiegen ab und banden ihre Pferde an einen Holzpfosten.
»Ich bin mit meinem jungen Freund auf der Durchreise«, sagte er zu ihr. »Wir hatten auf ein wenig Gastfreundschaft gehofft, einen Becher Calba und ...«, er warf Alduin einen verschmitzten Blick zu, »... und auf ein paar Neuigkeiten.«
Tirla steckte geschickt ihr langes schwarzes Haar am Hinterkopf zusammen, während sie auf die beiden zulief. »Sei gegrüßt, Vetter! Möge der Segen Asnars mit dir sein«, erwiderte sie. »Ihr habt Pech. Ich bin allein hier. Grest und die Jungs sind schon früh nach Lemrik aufgebrochen. Er hat endlich
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