Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
Brust.
»Aber flussabwärts gibt es eine Stelle, an der sich Gwire und Mangipohr vereinen«, sagte Rael zögernd. »An dieser Stelle teilt eine Sandbank das Gewässer, und zu beiden Seiten gibt es Stromschnellen. Im Westen sind sie weitaus stärker als im Osten. Wenn er sich dort verfangen hat ...«
»Emo, beschütz ihn!«, flüsterte Aranthia und schloss die Augen.
»Setzt euch, ihr alle.« Marla ging mit nicht überhörbarem Schritt hinüber zur Feuerstelle. »Lasst mich euch Calba servieren.«
Bald saßen alle fünf mit den warmen Bechern in den Händen am Tisch und versuchten, sich ein Bild darüber zu machen, was wohl geschehen sein mochte.
Der Kataure fuhr mit seiner Schilderung fort. »Ich vermute, dass der Junge den ganzen Tag über nicht mehr im Haus gewesen ist. Als ich aufwachte, fand ich alles unverändert vor«, sagte er und warf einen schnellen Blick zu Aranthia, als wollte er sich dafür entschuldigen, den ganzen Tag verschlafen zu haben. »Nur das Feuer im Kamin war erloschen. Die Pferde standen im Stall und dann Alduins Kleider ... Mein einziger Gedanke war, mich so schnell wie möglich auf den Weg zu Euch zu machen. Dem jungen Rael bin ich auf dem letzten Abschnitt der Strecke begegnet, den Rest des Weges konnte er auf Fea Lome reiten.«
»Wo ist Sivella jetzt, Rael?«, fragte Calborth.
Der junge Falkner schloss die Augen.
»Dort, wo der Mangipohr eine scharfe Kehre Richtung Norden macht, kurz bevor er wieder südwärts fließt. Der Fluss hat sich an dieser Stelle tief in die Hügellandschaft gegraben, und am Westufer ist eine steile Klippe. Niemand könnte dort hinaufklettern, deshalb sucht Sivella am anderen Ufer. Doch bisher gibt es immer noch kein Anzeichen von Alduin. Es hat stark geregnet, jetzt klart es wieder auf. Sivella wird sich während der Nacht ausruhen müssen und beim ersten Tageslicht weitersuchen.«
»Was können wir sonst noch tun?«, fragte Aranthia verzweifelt. »Haben wir an alles gedacht?«
»Wir sollten uns ausruhen und Kräfte sammeln«, gab der Meister zurück. »Morgen früh werden wir alle klarer sehen.« Damit stand er auf, legte die Hand auf die Brust und verneigte sich. Dann verließ er langsamen Schrittes die Küche.
Aranthia nickte erschöpft und wandte sich Cardol zu. »Ich kann Euch gar nicht genug danken, dass Ihr so rasch gekommen seid. Und das bei Euren Schmerzen. Lasst mich einen Blick auf Euren Fuß werfen. Er hat einiges mitgemacht.«
Bardelph stützte den humpelnden Katauren auf dem Weg zur Apotheke, während Rael mit Marla zurückblieb.
»Du kannst dir oben eines der Zimmer aussuchen«, bot sie ihm an.« Außer unserem Patienten ist derzeit niemand im Haus. Ich kümmere mich derweil um das Bettzeug.«
Der Junge schlief in einer kleinen, verborgenen Höhle in den zerklüfteten Hügeln am Rande eines erloschenen Vulkans. Sie bot ihm Wärme, Sicherheit und Schutz vor dem Regen, der immer mehr zunahm. Auch wenn die pochende Wunde an seiner Schulter zu bluten aufgehört hatte, so schmerzte sie doch immer noch sehr stark.
Bei Sonnenuntergang war er vom Fluss aus aufgebrochen und hatte sich durch die Nacht in Richtung Westen geschleppt. Es schien, als sei er von einem Instinkt getrieben. Er wusste nicht, was ihn ausgerechnet in diese Richtung lenkte.
Irgendwann hatten ihn seine Kräfte verlassen. Er war so schwach auf den Beinen gewesen, dass er eine Rast hatte einlegen müssen. Der Falke hatte ihn einen Großteil des Weges begleitet, ehe er plötzlich abhob und davonflog. Doch am nächsten Morgen war er wieder zurückgekehrt.
Am Abend des zweiten Tages war der Junge auf die Höhle gestoßen. Er hatte trockenes Gras, Zweige und Hölzer gesammelt und damit geschickt ein Feuer entfacht, froh über das Wissen um die Natur, das tief in ihm verborgen lag. So instinktiv er auch handelte, so wollten sich doch die Erinnerungen an sein früheres Leben nicht einstellen. Die Zeit, die hinter ihm lag, war für ihn nicht greifbar, ebenso wenig das, was vor ihm liegen mochte. Vergangenheit und Zukunft waren gefangen in einer geheimnisvollen Leere.
Der Falke war wieder für eine Weile aus seinem Blickfeld verschwunden und erst bei einsetzendem Regen mit einer gerissenen Waldtaube in seinen Klauen zurückgekehrt. Den Raubvogel im Blick hatte der Junge das Fleisch halb gegart verzehrt und war dann in einen tiefen Schlaf gefallen.
... er kauerte auf dem Felsen und schaute hinaus über die Weiten des dunklen Wassers. Dann hechtete er vom Klippenrand
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