Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
Fischnetz, um die Brillits zu holen. Mittlerweile waren es nun schon vier. Die goldfarbene Raubkatze, die tatsächlich ein paar Schritte vom Flussufer entfernt auf sie gewartet hatte, beäugte die Fische mit gierigem Blick.
»Oh nein. Die sind für mich. Ich brauche sie für die Reise«, sagte sie, und ihre Sorge um Alduin verlieh ihrer Stimme einen gereizten Tonfall. »Das lässt sich eben nicht ändern. Ich muss mich um wichtigere Dinge kümmern. Und du musst jetzt sehen, wie du überlebst.«
Das Tier starrte sie mit ernsten Augen an.
»Sieh mich nicht so an ... Ich ...«
Plötzlich wurde sie von Kummer und Verzweiflung überwältigt. Sie ließ sich auf den Boden fallen, vergrub ihr Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen. Was hatte sie sich bloß gedacht? Hätte Rael Sivella tatsächlich auf die Suche nach ihr geschickt, warum hatte er ihr dann keine Botschaft mitgegeben? Schließlich kannte sie die Runen und einfachen Symbole gut genug, um eine Nachricht zu entziffern. Doch der Falke hatte nichts bei sich. So war es wohl bloß eine zufällige Begegnung gewesen.
Allmählich beruhigte sie sich wieder und hörte auf zu weinen. Als sie in sich hineinhörte, wurde ihr klar, warum es sie nach Sanforan zog. Tief in ihrem Inneren sehnte sie einen Grund herbei, Alduin wiederzusehen, wo auch immer er sein mochte. Aber er hatte nicht nach ihr gerufen. Was er auch vorhatte, sie war vermutlich die Letzte, an die er in diesem Augenblick dachte.
Wie oft war er in den vergangenen zwei Jahren in Sanforan gewesen? Wenn sie zusammen waren, schien ihre Verbindung so stark wie eh und je, natürlich und aufrichtig. Doch die Abstände zwischen ihren Treffen waren lang und länger geworden.
Gewiss hatte er sie sehr gern. Doch vielleicht gehörte sein Herz längst schon einem anderen Mädchen? Das letzte Mal waren sie sich zu Beginn des Frühlings begegnet. Damals hatte er versprochen, er würde zu den nächsten Vollmonden zurück sein. Nun, wenn sie ganz ehrlich war, hatte er es nicht fest versprochen, doch gesagt, dass er es vorhatte. Sie war verzweifelt, als die Mondzyklen ohne eine Nachricht von ihm verstrichen waren. So hatte sie auch nichts hinterlassen, als der Sommer kam und sie zu ihrer Familie zurückkehrte. Aber was hätte sie ihm auch hinterlassen sollen, was nicht aufdringlich gewirkt hätte? Nein. Sie war eine ausgebildete Wunand-Kriegerin. Sie hatte ihren Stolz! Sie würde sich ihm nicht aufdrängen!
Erilea wischte sich die Tränen ab, sprang auf und schalt sich selbst, wie leichtfertig sie ihr Parna missachtet hatte. Sie sah die Raubkatze an, die ihren Blick erwiderte. Auch wenn es nur ein Tier war, so hatte sie den Eindruck, es wüsste um ihre missliche Lage. Es schien fast, als wollte es Verständnis zeigen und Trost spenden. Ohne nachzudenken, streckte Erilea die Hand aus und kraulte das dichte Fell unter dem Kinn. Die Arekkatze belohnte sie mit einem Schnurren und schloss genüsslich die Augen.
»Nun kannst du die Fische doch haben», sagte sie lachend. »Ich habe noch ein paar Wurzeln und Kräuter. Nach Jagen ist mir jetzt gerade nicht zumute!«
Als Rael Sanforan verließ, war es Mittag. Zu seiner großen Freude hatte Cardol mit seinem Vorgesetzten verhandelt und erreicht, dass der junge Raide Fea Lome ausleihen durfte. Ohnehin wurde die Stute im Moment nicht geritten, so war es gewiss besser für sie, über Land zu traben, als nutzlos im Stall herumzustehen.
Rael galt als ein ausgezeichneter Reiter, dennoch würde er wohl eine Weile brauchen, um Erilea zu erreichen. Er versuchte, über längere Strecken zu galoppieren. Doch die Wege waren steinig und ausgefahren. Wenn er nur im Schritt reiten konnte, ertappte er sich dabei, wie seine Gedanken immer wieder um Alduins Vater kreisten und das Geheimnis, das ihn umgab.
Aranthia hatte ihn gleich nach seiner Ankunft eingeweiht, offensichtlich hielt sie es für bedeutsam, dass er wusste, wer dieser bewusstlose Mann in der Falkenhalle war, und dass er auch ihre Vermutungen kannte. Der Gedanke, jemand könnte so eng mit seinem Falken verbunden sein, dass die Zeit für ihn stillstehen würde, dass sein Geist seinen Körper verlassen würde, überstieg Raels Denkvermögen. Wie konnte so etwas erstrebenswert sein?
Er nahm Verbindung mit Sivella auf und flog eine Weile mit ihr. Sie ließ sich in einer milden Brise zu einen Wald weiter nördlich treiben, in der Hoffnung, dort Beute machen zu können.
Das Gefühl, mit seinem Falken eins zu sein,
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