Falkensaga 02 - Im Auge des Falken
war unbeschreiblich. Doch alles hinter sich zu lassen, um auf ewig mit Sivella verbunden zu bleiben? Nein, das würde Rael trotz aller Abenteuerlust nicht auf sich nehmen wollen. Er löste die Verbindung und gab sich wieder seinen Gedanken hin.
Als der Abend anbrach, fand er einen geschützten Platz in einem kleinen Birkenhain und verbrachte dort die Nacht. Doch der Schlaf wollte nicht einkehren. Während er noch einmal nach Fea Lome sah, ging ihm vieles durch den Kopf. Viele Fragen, auf die er keine Antwort fand. Was mochte Cal empfunden haben? Was, wenn Krath gestorben war, während die beiden immer noch verbunden waren, und Cal nun zwischen Leben und Tod gefangen war? Die Vorstellung jagte ihm einen kalten Schauder über den Rücken, und plötzlich fiel ihm wieder Alduins enge Begegnung mit dem Tod ein, als er das erste Mal mit Rihscha geflogen war.
Alduin! Erst jetzt wurde Rael bewusst, dass er die ganze Zeit über vermieden hatte, an seinen Freund zu denken und daran, was ihm zugestoßen sein mochte. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass er tot war. Denn sich mit seinem Tod auseinanderzusetzen, würde in ihm das Bewusstsein seiner eigenen Sterblichkeit wecken. Doch diesen Pfad wollte er nicht gehen. Wo also war Alduin? Und wo war Rihscha?
Sivellas weiche Landung lenkte Rael von seinen Gedanken ab. Eine Weile hockte sie auf seinem ledernen Handschuh, ließ sich von ihm kraulen und genoss offensichtlich die liebevollen Worte, die er ihr zuflüsterte. Ihre Gegenwart wirkte beruhigend. Dann gähnte er laut, und eine große Müdigkeit übermannte ihn. Der Falke hüpfte von seiner Faust herunter und kuschelte sich neben ihn, als Rael sich in seine Decke wickelte und tief einschlief.
Die Sonne war gerade untergegangen. Erilea saß im Gras und hatte den Blick auf den prachtvollen scharlachroten Himmel gerichtet. Die Arekkatze lag neben ihr und leckte sich die Pfoten. Ihr Fell hatte den Glanz des abendlichen Lichtes angenommen.
Die junge Wunand-Amazone war wieder ganz mit ihrem Parna befasst und verbrachte die Zeit vor dem Abendbrot damit, sich völlig zu entspannen und tief in sich zu versinken. Unverhofft hatte sie eine Idee: Sie wollte dem Tier einen Namen geben. Doch schon gleich verwarf sie den Gedanken wieder, denn gewiss würde es sie in wenigen Tagen für immer verlassen. Und gäbe sie ihm einen Namen, würde es ihr umso schwerer fallen, die Raubkatze ziehen zu lassen.
Doch der Gedanke biss sich fest. Ein Name! Sie beobachtete, wie sich das Tier streckte und auf den Rücken rollte. Die Verletzung schien nicht mehr zu schmerzen.
»Ist gleich, wie lange du bleibst«, flüsterte sie. »Du kannst gehen, wann immer du willst. Ich meine aber doch, dass ich dir einen Namen geben muss, solange wir zusammen sind.«
Erilea ließ ihren Blick über den geschmeidigen Körper der Arekkatze gleiten. Sie wusste, dass der schläfrige Eindruck täuschte. Binnen weniger Momente konnte sie sich in ein reißendes Tier verwandeln - wie der ruhende Vulkan, dessen Gipfel sie im Norden erkennen konnte. Eine Wunand-Legende besagte, dass er zuletzt ausgebrochen war, kurz nachdem die Stämme in Nymath angekommen waren. Statt ihn zu fürchten, betrachteten sie ihn als einen heiligen Ort. Er spiegelte für sie das unbeständige Wesen Emos wider, der von den Stämmen angebeteten Göttin. Obwohl der Berg seit vielen Generationen geschwiegen hatte, ahnten die Wunand, dass er tief in seinem Innersten noch lebte und jederzeit wieder erwachen konnte.
Plötzlich wusste Erilea, wie sie ihr Parna vervollkommnen konnte. Sie würde sich aufmachen, um dem Vulkan ihre Ehrerbietung zu erweisen. Und da die Raubkatze sie auf diesen Gedanken gebracht hatte - wie ein Stern einen Reisenden leitet lag ihr Name nah. Sie sollte von nun an Elin - Stern - heißen.
6
Wach auf, Alduin, du kommst zu spät zum Bogenschießen ...
Jemand versuchte, ihn wachzurütteln. Doch er war noch so müde und wollte nicht aufstehen. Mürrisch drehte er sich wieder um und wollte die Decke über den Kopf ziehen. Doch wo war sie? Sie musste auf den Boden gefallen sein. Autsch! Jemand bewarf ihn mit Steinen!
Alduin fuhr mit einem Ruck hoch und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Er musste das Bewusstsein verloren haben. Doch als der Boden unter ihm erzitterte, sich Geröll und Felsbrocken lösten, war er schlagartig wach. Es musste eine geraume Zeit ohne Besinnung gewesen sein.
Jäh tauchte Rihscha vor ihm auf, kreischte aufgeregt und drängte ihn
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