Fallen Angel 07 Tanz der Rose
Verlangen, ihm einen Kinnhaken zu verpassen. Es wäre ungerecht, den Überbringer schlechter Nachrichten zu bestrafen. Statt dessen verlieh er einem gräßlichen Einfall laut Ausdruck. »Halten Sie es für möglich, daß Stephen spurlos verschwunden ist, weil die Krankheit seinen Geist verwirrt hat? «
»Auf gar keinen Fall«, entgegnete der Arzt entschieden. »Ich vermute, daß der Herzog das Bedürfnis verspürte, in aller Ruhe über diesen schweren Schicksalsschlag nachzudenken. «
Das konnte Michael ohne weiteres verstehen - wenn es sich nur um einige Tage gehandelt hätte. Aber drei Wochen? »Könnte sein Zustand sich plötzlich verschlechtert haben, so daß er jetzt irgendwo hilflos im Sterben liegt? «
Blackmer schüttelte den Kopf. »Möglich ist natürlich alles, doch es kommt mir höchst unwahrscheinlich vor. «
Michael überlegte, was er tun sollte. Stephen hatte eine hohe Meinung von Blackmers Fähigkeiten, aber ein Landarzt mußte größtenteils gebrochene Knochen schienen und Erkältungen kurieren. Der Mann hatte Louisa nicht retten können, und er schien Stephen für einen aussichtslosen Fall zu halten.
Vielleicht könnte Ian Kinlock helfen. Nach der Schlacht von Waterloo hatte dieser Chirurg Michael durch einen riskanten Eingriff vor dem fast sicheren Tod bewahrt. Jetzt arbeitete Kinlock am St. Bartholomew's Hospital in London und kämpfte unermüdlich an der vordersten Front medizinischen Wissens. Wenn es Michael gelänge, Stephen zu finden und zu Ian zu bringen, bestünde vielleicht doch noch Hoffnung...
Erleichtert über die Möglichkeit, etwas unternehmen zu können, wirbelte der Lord auf dem Absatz herum und eilte zur Tür. »Danke für Ihre Informationen, Doktor. Leben Sie wohl. «
»Was haben Sie vor? «
»Ich will meinen Bruder suchen«, rief Michael über die Schulter hinweg.
»Warten Sie! Ich möchte Sie begleiten. «
Michael blieb stehen. »Wozu? «
Blackmer starrte seinen Arbeitstisch an und berührte geistesabwesend den Steinmörser. »Er ist mein Patient. Falls Sie ihn finden, möchte ich zur Stelle sein. «
Michael runzelte die Stirn und wollte strikt ablehnen. Er hatte keine Lust, mit einem Fremden unterwegs zu sein, und außerdem hatte er ja die Absicht, Stephen von Ian Kinlock untersuchen zu lassen, so daß Blackmers Anwesenheit völlig überflüssig war. Andererseits imponierte ihm die Gewissenhaftigkeit des Arztes, und er brachte es nicht übers Herz, ihn direkt zu brüskieren. Statt dessen knurrte er unwillig: »Sie können mitkommen, wenn Ihnen so viel daran liegt, aber nur, wenn Sie ein guter Reiter sind, denn ich werde beim Tempo keine Rücksicht auf Sie nehmen. «
»Das schaffe ich schon«, erwiderte Blackmer. »Ich brauche nur etwas Zeit, um einen Kollegen zu bitten, meine Patienten zu betreuen. Könnten wir erst morgen früh aufbrechen? «
Michael warf einen Blick aus dem Fenster und stellte fest, daß die Sonne schon ziemlich tief stand. »Einverstanden. Ich muß sowieso noch die Dienstboten meines Bruders befragen und mehrere Briefe schreiben. Bis morgen, Dr. Blackmer! Kommen Sie bei Tagesanbruch zur Abtei. «
Er ging und versuchte sich einzureden, daß der Londoner Chirurg Stephen bestimmt helfen würde, denn der Gedanke, seinen einzigen Bruder zu verlieren, war schlichtweg unerträglich.
Sobald die Tür hinter dem Besucher zugefallen war, ließ Blackmer sich erschöpft auf seinen Stuhl fallen. Lord Michael Kenyon war genauso kurz angebunden wie sein verstorbener Vater, und zusätzlich besaß er das einschüchternde Auftreten eines befehlshaberischen Offiziers. Eine Reise mit diesem Mann würde wahrlich kein Vergnügen sein!
Doch es waren nicht die bevorstehenden Strapazen, die den Arzt verstörten, sondern die Tatsache, daß Kenyons kühle grüne Augen tiefen Schmerz über den kritischen Zustand seines Bruders widergespiegelt hatten. Die Aussicht, schon in wenigen Monaten Herzog von Ashburton zu sein, erfüllte Lord Michael offenbar nicht mit heimlichem Frohlocken.
Blackmer starrte den Kamin an, in dem noch kein Feuer brannte. Er hatte - wie befürchtet - mit seinem Brief an den Lord in ein Wespennest gestochen. Ashburton konnte sich überall in Großbritannien aufhalten, und die Chance, daß sie ihn finden würden, war mehr als gering. Es wäre vernünftiger, seine Rückkehr nach Ashburton Abbey abzuwarten, aber dem Arzt war klar, daß er Michael Kenyon niemals umstimmen könnte.
Die ganze Situation war bedauerlicherweise völlig außer Kontrolle
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