Fallen Angels 01 - Die Ankunft
können, aber alles, was er wollte, war ein voller Teller?
Außer, die echte Forderung käme erst, wenn sie das Krankenhaus verlassen hatten.
»Essen um acht«, sagte Vin.
»Und weil ich ein anständiger Kerl bin, lasse ich Sie das Lokal aussuchen.«
Tja, das war leicht. Für den Fall, dass es Ärger geben würde, war öffentliches Publikum nicht die Zutat, auf die Vin unbedingt scharf war. »Meine Wohnung im Commodore. Kennen Sie das Gebäude?«
Herons Augen wanderten zum Fenster neben dem Bett und wieder zurück. »Welcher Stock?«
»Siebenundzwanzigster. Ich gebe dem Pförtner Bescheid, dass er sie durchlässt.«
»Dann bis acht.«
Heron wandte sich ab und drehte Vin erneut seinen Rücken zu.
Beim Anblick der schwarzen Tätowierung, die jeden Zentimeter von Herons entblößter Haut bedeckte, hätte diPietro am liebsten noch einmal laut geflucht. Vor dem Hintergrund eines Friedhofs starrte der Sensenmann von dem muskulösen Rücken, eine Kapuze schirmte sein Gesicht ab, die Augen leuchteten durch den von seinem Gewand geworfenen Schatten hindurch. Eine knochige Hand umschloss die Sense, der Körper war nach vorn gebeugt und die freie Hand ausgestreckt, als wollte er jeden Moment nach der Seele des Betrachters greifen. Genauso unheimlich war die Strichliste unter der Gestalt: Direkt unterhalb des Umhangsaums schlossen sich zwei Reihen von in Fünfergruppen angeordneten Linien an.
Zusammengezählt ergab das locker einhundert.
Die Badezimmertür fiel in dem Moment ins Schloss, als eine Schwester ins Zimmer geeilt kam, ihre Kreppsohlen quietschten auf dem Fußboden. »Was - wo ist er?«
»Er hat sich abgestöpselt. Ich glaube, er will pinkeln und dann gehen.«
»Das kann er nicht.«
»Viel Glück, wenn Sie ihn davon abbringen wollen.«
Damit ging Vin aus dem Zimmer und lief zum Aufenthaltsraum. Er steckte den Kopf durch die Tür und machte die beiden Arbeiter, die darauf bestanden hatten, hier zu warten, bis Heron aufwachte, auf sich aufmerksam. Der Linke hatte Piercings im Gesicht und die verspannte Ausstrahlung eines harten Hundes, der den Schmerz genießt. Der andere war ein Hüne mit einem langen geflochtenen Zopf auf dem Rücken seiner Lederjacke.
»Er will nach Hause.«
Der Gepiercte stand auf. »Haben die Ärzte ihn schon entlassen?«
»Mit den Ärzten hat das nichts zu tun. Er hat selbst entschieden.« Vin deutete mit dem Kopf den Flur hinunter. »Er liegt in Zimmer 666. Und jemand muss ihn nach Hause fahren.«
»Das übernehmen wir«, sagte der Gepiercte, die silberfarbenen Augen blickten ernst. »Wir bringen ihn, wo auch immer er hin muss.«
Vin verabschiedete sich von den beiden und rief den Aufzug. Beim Einsteigen holte er sein BlackBerry aus der Tasche und rief Devina an, um ihr mitzuteilen, dass sie einen Gast zum Abendessen hätten. Da er nur ihre Mailbox erwischte, hielt er sich kurz und freundlich und versuchte, nicht zu überlegen, was zum Teufel sie gerade trieb, während er die Nachricht hinterließ.
Oder mit wem sie es trieb.
Auf halbem Weg ins Erdgeschoss blieb der Aufzug stehen, und die Türen öffneten sich, um zwei Männer einsteigen zu lassen. Als der Lift die Fahrt nach unten wiederaufnahm, wechselten die beiden zustimmende Laute, als hätten sie gerade ein Gespräch zu ihrer Zufriedenheit zu Ende geführt und wollten das noch einmal bekräftigen. Beide trugen sie Anzughosen und Pullis, und der Linke zeigte Ansätze von Kahlheit auf dem Kopf, das braune Haar zog sich zurück, als hätte es Angst, ganz oben auf dem Scheitelpunkt zu …
Vin blinzelte. Und blinzelte noch einmal.
Ein Schatten glühte um den Mann mit der Halbglatze herum auf, eine schimmernde, wabernde Aura in der Farbe von Blei und der Beschaffenheit von Hitzewellen auf dem Asphalt.
Das konnte doch nicht … oh nein, bitte nicht … nach all den Jahren Ruhe konnte es doch nicht zurück sein.
Vin ballte die Hände zu Fäusten, schloss die Augen und verdrängte die Vision durch reine Willensanstrengung, vertrieb sie aus seinem Kopf, verwehrte ihr den Zugang zu seinen Neuronen. Er hatte das gerade nicht gesehen. Und wenn doch, dann hatte er das Deckenlicht falsch gedeutet.
Der Mist war nicht wieder da. Er war ihn losgeworden. Es war nicht wieder da.
Vorsichtig blinzelte er unter einem Lid hervor, schielte zu dem Mann … und fühlte sich, als hätte er einen Schlag in die Magengrube bekommen. Der durchsichtige Schatten war so deutlich zu sehen wie die Kleider, die der Mann trug, und so greifbar wie sein
Weitere Kostenlose Bücher