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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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das würde sie zu sehr in Anspruch nehmen, um über meine Probleme nachzudenken. Wenn sich bis dahin nichts ergäbe, würde ich vielleicht selber zu Sothebys pilgern und sehen, ob die Fachleute dort mir weiterhelfen könnten.
    Meine Stimmung und auch mein Gehirn schalteten wieder in einen niedrigeren Gang; ich hatte das Gefühl, alles entgleite mir. Nach einer unruhigen Nacht stand ich am Morgen sehr früh auf und stellte verärgert fest, es war nichts mehr zu essen im Haus. Abgestandener Kaffee und kein Brot. Es war erst halb sieben, als ich mich zum Flughafen aufmachte, also blieb mir genügend Zeit, beim Terminal Eins vorbeizuschauen, um dort zu frühstücken, wie ich es oft auf meinem Weg zur Arbeit machte. Da konnte ich zumindest sicher sein, in der Saftbar im zweiten Stock frisch gepreßten Orangensaft zu bekommen.
    Die Bushaltestelle ist direkt gegenüber dem Parkplatz. Während ich an der Ampel ganz in der Nähe wartete, fuhren vier Busse los, einer nach dem anderen. Müßig überflog ich die Aufschriften mit den Bestimmungsorten: Bath, Oxford, Reading, Cambridge. Wie ein stechender Schmerz durchzuckte mich die Erinnerung, wie Lily immer aus dem Auto gesprungen und zu ihren kleinen Reisen aufgebrochen war. Oft waren wir früh losgefahren, so wie ich heute, um zusammen einen Kaffee zu trinken und ein Croissant zu verspeisen. Plötzlich schien sie überall um mich herum zu sein. Das gereizte Hupen hinter mir riß mich aus meinem sentimentalen Selbstmitleid, aber der Appetit war mir vergangen. Ich ließ das Frühstück ausfallen und trank statt dessen eine Tasse Pulverkaffee an meinem Schreibtisch.
    Die Erinnerung an die Busse nagte weiter an mir, kam und ging, den ganzen Tag über. Nicht daß ich die Zeit gehabt hätte, mich darin zu verlieren. Nie zuvor war ich so lange nicht an meinem Arbeitsplatz gewesen, was vermutlich der Grund war, warum es mir fast unmöglich war, mich wieder an den Arbeitsrhythmus zu gewöhnen. Ich kaschierte das, so gut ich konnte, fand es aber nahezu unmöglich, der ständigen Anforderung, schnelle Entscheidungen zu fällen, gerecht zu werden. Das Telefon hörte einfach nicht auf zu läuten, unablässig platzten Leute herein, entweder um mich zu begrüßen oder um mir Dampf zu machen. Das Faxgerät spuckte ununterbrochen bedrucktes Papier aus. Offensichtlich hatte mein alter Sparring-Partner Roger es geschafft, genügend Dinge zusammenkommen zu lassen, um die Zeitpläne zu überfrachten. Den ganzen Tag lang hatte ich nicht einen einzigen Augenblick Zeit, mich auf irgend etwas anderes zu konzentrieren als darauf, Abholungen und Zustellungen wieder in die bestmögliche Reihenfolge zu bringen und verärgerte Kunden zu besänftigen.
    Auf dem Weg nach Hause schleppte ich mich durch den Supermarkt; ich war gerade dabei, zu Hause die Sachen aus dem Auto zu laden, als Maria ihren Kopf, um den sie ein weißes Badetuch geschlungen hatte – ein reizender Anblick –, aus dem Badfenster streckte und mir zurief, etwa eine Stunde zuvor habe ein Mann nach mir gefragt.
    »Murray Magraw?« fragte ich. Sie kratzte sich am Kopf und verzog das Gesicht.
    »Scheiße. Nach seinem Namen hab ich ihn nicht gefragt. Groß. Na ja, ziemlich groß …« Maria ist einsfünfundfünfzig, Steve einsfünfundsechzig. Was Körpergröße betrifft, kann man sich nicht besonders auf sie verlassen.
    »Amerikaner?«
    »Könnte sein. Ich hab nicht ganz mitbekommen, was er gesagt hat. Mir ist Shampoo übers Gesicht gelaufen. Tut mir leid.«
    »Hat er eine Nachricht hinterlassen, Maria?« Es fiel mir schwer, meine wachsende Verärgerung zu unterdrücken.
    »Er hat gesagt, er würde dich morgen im Büro anrufen.«
    Ich erstarrte. Meinen neuen Buchfreunden hatte ich diese Nummer nicht gegeben. Ich zwang mich, langsam zu Maria hinüberzugehen und dabei zu lächeln.
    »Kannst du ihn beschreiben, Maria, bitte?«
    »Wie schon gesagt. Groß, dunkler Anzug. Ein hinreißendes Lächeln. Schmale Hüften … ich muß schon sagen, Nell, du verschwendest keine Zeit – du durchtriebenes Wesen. Ist das der Grund, warum Davis …« Sie verstummte. »Nell? Hab ich was falsch gemacht?«
    Ich schluckte. »Nein, ehrlich.« Ich biß mir auf die Lippen. »Maria, war er vorne an der Wohnungstür?« Die Türen zu unseren beiden Apartments liegen nebeneinander. Die rückwärtigen Eingänge sind separat; zu meinem, im ersten Stock, gelangt man über eine Außentreppe aus Eisen. Ich konnte Maria nicht ins Gesicht sehen, während ich ihre Antwort

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