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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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Sie an.«
    »Warten Sie, Grace. Könnte ich vielleicht vorbeikommen? Ich bringe die Tagebücher mit.«
    Sie zögerte einen Augenblick, ehe sie zustimmte. Ich legte auf, ehe sie es sich anders überlegen konnte. Dann überprüfte ich die Verriegelungen der Fenster, schaltete die Alarmanlage ein und schloß die Türen zweimal ab. Anschließend schaute ich kurz bei Steve und Maria vorbei und bat sie, die Polizei zu rufen, falls sie irgendwelche Eindringlinge hörten. Und dann fuhr ich wie vom Teufel besessen Richtung Clerkenwell. Obwohl ich siebenmal bei Rot über die Kreuzung raste, brauchte ich fast eine Stunde.
    Graham Stockport war ein kleiner, ältlicher Herr mit einem ziemlich krummen Rücken und schlechten Zähnen, aber was die Natur ihm in puncto gutes Aussehen versagt hatte, machte er durch Charme wett. Er entwaffnete mich auf der Stelle, als er sich dafür entschuldigte, »mein« Tagebuch aus der Hand gegeben zu haben. Er war mittlerweile zu der Überzeugung gelangt, der Mann, der nach dem Buchbinder gefragt hatte, sei »ein schrecklich zwielichtiger Geselle gewesen, meine Liebe«, der das Tagebuch gestohlen hatte. Aus irgendeinem mir unbekannten Grund war Dr. Stockport in seinem Glauben, die Tagebücher gehörten mir, äußerst parteiisch. Ich hatte sie mitgebracht. Er nahm sie mit der gleichen ehrfürchtigen Behutsamkeit aus meinen Händen entgegen wie Grace am Tag zuvor und untersuchte sie dann lange Zeit sehr eingehend, ehe er sie Murray überreichte.
    »Man kann Spuren des deutschen Einflusses erkennen, hier …« Und schon waren die beiden wieder beim Fachsimpeln. Grace verdrehte die Augen und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen, während ich dasaß und ihnen zuhörte; fast hätte ich geschrien vor Ungeduld. Aber selbst ein Kind konnte sehen, wenn Dr. Stockport einmal in Fahrt war, durfte man ihn nicht drängen. Zu gegebener Zeit blickte er von den Tagebüchern auf und strahlte mich an.
    »Die sind wirklich ganz wundervoll, meine Liebe. Ich wünschte, ich könnte Ihnen sagen, wer diese wunderschönen Gegenstände angefertigt hat, aber ich kann es nicht.
    Jedenfalls glaube ich, Sie müssen einen Fachmann in Oxford aufsuchen, den ich kenne. Sein Wissen, was Bücher und Bucheinbände betrifft, ist enzyklopädisch. Er hat dies zu seinem Lebensinhalt gemacht, obwohl ich glaube, er ist ganz und gar Autodidakt. Ich habe Ihnen die College-Nummer aufgeschrieben, denn zu meiner Schande muß ich gestehen, ich habe seinen Namen vergessen. Äußerst peinlich, aber so ist es nun einmal. Fragen Sie einfach nach dem Restaurator, obwohl er sich möglicherweise auch als Konservator oder vielleicht Archivar bezeichnet. Ich hoffe, er kann Ihnen weiterhelfen. Ein erstaunlicher Mensch, aber ich muß Sie warnen, es könnte einiger Überredungskunst bedürfen, denn er steht ein wenig in dem Ruf, ein Einsiedler zu sein, außerdem …« und schon war er wieder bei seinem Lieblingsthema.
    Ich merkte nicht, wie Murray hinausschlüpfte. Dr. Stockport schwadronierte eine wahre Ewigkeit weiter und war nicht zu bremsen. Etwa eine Stunde später setzte ich ihn bei der King’s Cross Station ab, fuhr langsam nach Hause und lernte unterwegs den Namen des Colleges und die Telefonnummer, die er für mich aufgeschrieben hatte, auswendig. Als ich anhielt, um zu tanken, zündete ich mir eine Zigarette an, verbrannte den Zettel und ließ die Asche in den nächtlichen Himmel treiben. Endlich hatte ich meine Lektion gelernt.
    Erst gegen drei ging ich ins Bett, so aufgedreht war ich. Statt dessen durchsuchte ich systematisch die Wohnung und sammelte alles, was meine Mutter hinterlassen hatte: ihre Reiseführer, Photographien, diverse Kleidungsstücke und einen alten Kulturbeutel, den ich hinter der Bügelmaschine fand. Fast hätte ich ihn übersehen, da er zwischen einem Stapel Handtücher und der Wand eingeklemmt war. Darin lag, was mir einigermaßen seltsam erschien, ein kräftiger Schraubenzieher mit kurzem Griff.
    Ein Schraubenzieher in einem Kulturbeutel, das kam mir so merkwürdig vor, daß ich mir sicher war, er befand sich aus einem ganz bestimmten Grund genau da. Ich hielt ihn in der Hand, während ich das Badewasser einlaufen ließ; dann legte ich ihn zwischen die Wasserhähne und tauchte in den duftenden Schaum ein. Warum hatte Lily einen Schraubenzieher hinter der Bügelmaschine versteckt?
    Allmählich legte sich das Durcheinander in meinem Kopf. Das Großartige an einem heißen Bad ist, man kann seine Gedanken schweifen lassen,

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