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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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Kopf immer noch teuflisch schmerzte. Und meine Eitelkeit, als ich feststellte, man hatte mir alle Haare abgeschnitten! Gegen zehn schaute Daniel vorbei. Er schien jedoch gedankenverloren und sagte nicht viel, zumindest nichts, an das ich mich erinnern konnte. Daß er kam, war genug. Jedes Mal wenn ich ihn sah, war es, als würde ich nur etwas nachholen oder mir Einzelheiten über ihn ins Gedächtnis rufen, die ich unmöglich wissen konnte, aber dennoch zu wissen vermeinte, so nachhaltig hatte er sich in mein Leben eingeschlichen.
    Irgendwann kam ein Polizist, um ein Protokoll aufzunehmen. Viel konnte ich ihm nicht sagen; ich hatte nichts gesehen. Ich wußte, der Angreifer war kein Gelegenheitsdieb gewesen, der es auf Handtaschen abgesehen hatte, wie er meinte, aber mit irgendwelchen Theorien wartete ich nicht auf.
    Er hatte ein wahrhaft sonniges Gemüt. »Diesen Sommer ist es in der Gegend von Headington zu drei oder vier schweren Zwischenfällen gekommen. Letzte Woche ist eine alte Dame an den Folgen eines ähnlichen Überfalls direkt gegenüber vom Krankenhaus gestorben.«
    Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, als er mich aufklärte, wann und wie ich meine Handtasche tragen sollte und wie gefährlich es sei, allein durch menschenleere Straßen zu wandern. Schon wollte ich entgegnen, zumindest eine Person sei in der Kirche gewesen, als ich daran vorbeiging, da fiel mir ein, vermutlich hatte der Angreifer sich in der Kirche versteckt. War es der in dem Jogginganzug gewesen? Hatte er beobachtet, wie Daniel zwei Stunden zuvor das Haus verlassen hatte? War er ihm auf seinem Weg gefolgt? Hatte er überprüft, ob ich immer noch im Haus war? Und dann geduldig gewartet, bis ich schnurstracks in seine Falle getappt war? Wer auch immer hinter mir her war, er war um einiges raffinierter als ich, aber schließlich und endlich wußte er vermutlich, wohinter er her war. Ich nicht.
    Ich bewahrte einigermaßen die Ruhe, bis der Polizist weg war. Doch dann drehte ich durch. Wenn er gesehen hatte, wie wir ins Haus gegangen waren, dann mußte er uns von London aus gefolgt sein. Und wenn er uns gefolgt war, wußte er, wo wir wohnten. Wußte über das Krankenhaus Bescheid; wahrscheinlich wußte er auch, daß Milo gestorben war. Und mit Sicherheit wußte er, wo ich mich jetzt aufhielt.
    Als am späten Nachmittag Daniel wieder vorbeikam, war ich auf Hochtouren. Meine Temperatur stieg immer höher, ich schrie die Krankenschwester, diese arme Frau, die sich um mich sorgte, an, ich wolle nicht schlafen. Ich mußte, mußte wach bleiben.
    Ich hörte, wie sie leise mit der Zunge schnalzte und etwas von wegen verzögertem Schock murmelte, als sie hinausging. Daniel schloß die Tür hinter ihr und setzte sich dann auf die Bettkante. Als ich zu plappern anfing, hielt er eine Hand hoch.
    »Jetzt laß mich mal ausreden, Nell. Ich habe genauso große Angst wie du. Ich habe mir das Ganze zusammengereimt, genau wie du. Wir müssen dich von hier wegbringen. Bist du privat versichert? Sag es mir, ja oder nein. Keine langen Reden. Davon halte ich auch nichts.«
    »Ja. Morgen kommt dafür auf.«
    »In Ordnung. Sag mir, wen ich dort anrufen soll.«
    »Red mit Dieter Ross. Aber sag bitte nichts zu Jen Harper. Nur zu Dieter.« Ich gab ihm die Telefonnummer und für den Fall, daß Dieter in der Zentrale in Deutschland war, auch die Nummer dort.
    »Mach jetzt die Augen zu und schlaf ein bißchen, ich muß etwas erledigen.« Und ehe ich auch nur blinzeln konnte, war er verschwunden. Ich weiß nicht, wie lange er weg war, offenbar schaffte ich es einfach nicht, wach zu bleiben. Als nächstes erinnere ich mich daran, wie mir jemand eine Spritze in den Arm verpaßte und ich auf eine Bahre gehoben wurde. Daniel stand in der Tür, als sie mich zum Lift rollten. Er hielt den Finger an den Mund und flüsterte: »Vertrau mir.«
    Einen schrecklichen Augenblick lang, in dem die Welt stillzustehen schien und mir regelrecht schlecht wurde, verlor ich den Glauben an ihn und fragte mich, ob er wirklich auf meiner Seite war. In meinem Fieberwahn tüftelte ich aus, er, Daniel, hätte schließlich reichlich Gelegenheit gehabt, mich zusammenzuschlagen. Er hatte gewußt, wo ich war, hatte den Weg gekannt, den ich nehmen würde. Aber dann kam ich wieder zu mir. Er hätte in den vergangenen zwanzig Stunden jederzeit über mich herfallen können. Das hatte er aber nicht getan. Nicht einmal vergewaltigt hatte er mich. In dem Augenblick wurde mir klar, ich war auf dem Weg der Besserung.

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