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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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Bett frisch und stürmte dann wütend hinaus. Fünf Minuten später kam sie mit zwei riesigen, randvoll gefüllten Gläsern mit Gin Tonic zurück. Jeweils mit einer Scheibe Limone verziert.
    Maria blieb bei mir. Weiß der Himmel, was sie zu dem Drachen von Schwester gesagt hat, die eine Liege für sie ins Zimmer stellte und uns erlaubte, die Tür abzusperren. Ich weiß nicht, war es der Gin oder die Kombination von Gin und Schmerztabletten oder die das Gehirn lähmende Angst oder eine Mischung aus allen Dreien, jedenfalls schlief ich ein, als hätte man mich abgeschaltet.
    »Nell?« flüsterte Maria, als ich hinwegdriftete, »Nell? Du weißt, wer der Mörder ist, nicht wahr?«
    »Ja«, murmelte ich, ja. Ich weiß, wer …«

31
    Eine der herrlichsten Segnungen der Privatklinik (abgesehen von dem Gin) war, daß sie sich nicht bemüßigt fühlten, mir in der Morgendämmerung das Frühstück zu servieren. Ich schlief bis neun; als ich aufwachte, war Maria schon zum Flughafen aufgebrochen. Um zwanzig nach rief sie an, um mir zu sagen, das eingeschriebene Päckchen sei angekommen und per Boten bereits zu mir unterwegs.
    Das alles andere überwältigende Gefühl war nicht Erleichterung, sondern Angst und eine schreckliche, lähmende Müdigkeit. Ich hatte tief und traumlos geschlafen, doch jetzt wollte ich nichts weiter, als meine Augen zumachen und weiterschlafen; für immer und ewig schlafen. Ich hatte keinerlei Bedürfnis danach, mich meiner Zukunft oder Nicht-Zukunft zu stellen. Ganz schlecht war mir vor Angst, was auch immer Lily für mich hinterlassen hatte, würde mich noch weiter in ihr entsetzliches Wissen darüber, was ihr bevorgestanden hatte, hineinziehen. Solange es nicht tatsächlich ausgesprochen wurde, konnte ich es vermeiden, zu genau darüber nachzudenken.
    Ich schob alle anderen Gedanken beiseite, verbot mir jegliches Gefühl und zog mich ganz in mich selber zurück, um mich auf das vorzubereiten, was sie mir mitteilen wollte. Die Krankenschwester, die meine Verbände wechselte, gab den Versuch, mich zum Reden zu bewegen, bald auf und überließ mich meiner Trübseligkeit. Die klaffende Wunde auf meinem Arm war immer noch offen und entzündet. Sie zog sich von oberhalb des Ellbogens fast bis zum Handgelenk, mit dem ich auf einem scharfkantigen, rostigen Eisenteil gelandet war. Glücklicherweise konnte ich die kreuz und quer verlaufenden Nähte auf meinem Kopf nicht sehen. Die Krankenschwester hielt nichts von Spiegeln, ehe sie nicht einen von Marias Hüten keck auf den Verband plaziert hatte.
    Wie die Heldin in einer Tragödie sah ich aus: ausgemergelt und leichenblaß. Mein Gesicht war völlig abgemagert. Aber der Anblick meiner Tonsurfrisur entlockte mir ein weinerliches Lächeln: ein Ring kurzer fahlblonder Locken, die kunstreich unter dem Verband hervorspitzten. Hätte ich den Mut gehabt, ich hätte es Sinead O’Connor gleichgetan und den Schädel ganz kahl geschoren. Aber ich hatte nicht ihr Gesicht. Oder ihren Mut.
    »Ein bißchen Make-up, Schätzchen, und Sie sehen prächtig aus«, schmeichelte die Schwester und bot mir an, die Kosmetikkünstlerin des Hauses zu mir zu schicken. »Anschließend werden Sie sich wundervoll fühlen.«
    Das bezweifelte ich. »Ich warte lieber bis morgen«, erklärte ich verdrießlich. »Ich will nicht alle Wohltaten an einem Tag genießen.«
    »Wie wär’s mit einer Massage? Der Physiotherapeut ist sehr gut. Probieren Sie’s doch mal. Sie werden sich gleich besser fühlen.«
    Massagen standen also auch auf der Karte? Kein Wunder, daß die reichen Leute gut aussehen. Ich fragte mich, was die Firma wohl für das Ganze bezahlen mußte, behielt meine knausrigen Gedanken jedoch für mich. In Wirklichkeit besaß ich kaum genügend Energie, um mich aufzusetzen, und noch viel weniger, um zu ertragen, daß irgend so ein Gewaltmensch meinen Rücken von oben bis unten durchwalkte.
    »Morgen«, sagte ich und drehte mich auf die Seite. Als die Schwester auf Zehenspitzen aus dem Zimmer geschlichen war, setzte ich mich wieder auf, aber es bedurfte einer noch viel größeren Willensanstrengung, den Telefonhörer abzunehmen.
    Glücklicherweise war Dr. Stockport, der gerade auf dem Weg zu einer Besprechung war, ungewöhnlich wortkarg.
    »Ah, Miss Gilmore, es tut mir so schrecklich leid, aber leider ist der arme Mr. Garnier – der Experte für Bucheinbände, ich habe mich schließlich doch noch an seinen Namen erinnert – gestorben. Ganz plötzlich, letzte Woche. Genau an dem Tag,

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