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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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übersehen, nicht erkannt, gesehen und wieder vergessen hatte. Allmählich bekam ich einen Heidenrespekt vor Detektiven. Vor den Profis, nicht vor den Amateuren.
    Zumindest eines stand fest. Falls es Hanion gewesen war, der versucht hatte, den Wagen zu kaufen – und es hatte ganz den Anschein –, hatte ich ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber nur um Haaresbreite. Wer sagt, man könne Gebrauchtwagenhändlern nicht über den Weg trauen? Lily hatte alle drei Autos, die sie hintereinander besessen hatte, bei Michael gekauft. Die Frau hatte über eine gute Menschenkenntnis verfügt.
    Die Kirchturmglocke läutete. Als der Klang verhallte, glaubte ich ein Klopfen ans Fenster zu hören. Vor Schreck sprang ich auf, aber es war nur der Wind gewesen, der einen Zweig der Glyzine ans Fenster geweht hatte. Ich zerriß den Zettel und spülte die winzigen Fetzen in den Ausguß in der Küche.
    Dann sah ich im Arbeitszimmer nach, ob alles so war, wie ich es vorgefunden hatte, schüttelte die Kissen auf, vergewisserte mich, daß an den Bücherborden nichts auffiel. Ich legte sogar die beiden Bücher wieder genauso hin, wie sie vorher auf dem Tisch gelegen hatten. Es war gut Viertel vor zwölf. Bis zwölf würde ich es wohl kaum schaffen, zum Krankenhaus zu kommen, aber ich hoffte, mich nicht allzu sehr zu verspäten. Ein letztes Mal sah ich mich um, warf einen Blick auf Daniels Karten, nahm meine Umhängetasche, schaltete die Alarmanlage ein und verließ das Haus.
    Ich erinnere mich, daß mir, als ich durch die Pergola ging, auffiel, wie heiß und schwül es war. Mühsam quetschte ich mich durch den Spalt im Tor und überquerte die schmale Straße zum Friedhof. Normalerweise mag ich Friedhöfe, spaziere gerne darin herum, aber ich fühlte mich unbehaglich. Nicht irgendwie in Gefahr, nur unbehaglich. Der Friedhof wirkte ruhig und gepflegt, aber ich schätze, es war einfach zu kurz nach Lilys Tod. Als ich über den Vorplatz der Kirche hastete, begann erneut die Glocke zu läuten, hörte einfach nicht mehr auf. Die Glocke hatte einen unangenehmen, hohlen Klang, als hätte sie einen Sprung. Der alte Quasimodo ist wieder unterwegs, dachte ich.
    Durch die offene Tür erspähte ich eine Gestalt in einem neonfarbenen Jogginganzug aus einer Art Nylonstoff. Ich kicherte. Ein reichlich unglaubwürdiger Quasimodo.
    Ich folgte dem Weg hinten um die Kirche herum zu einem zweiflügeligen schmiedeeisernen Tor, das auf eine breite, von Buchen gesäumte Straße führte. Sie war ziemlich kurz, ungefähr hundert Meter. Es war beruhigend, auf der Straße am anderen Ende der kleinen Allee Autos vorbeifahren zu sehen. Ich marschierte los. Der Schatten der Bäume war angenehm, denn nicht ein Windhauch war zu spüren.
    Und das war mein letzter Gedanke, zumindest fast mein letzter. Nicht die geringste Spur einer Brise. Und trotzdem war der herabhängende Zweig der Glyzine leicht hin- und hergeschwungen, hin und her, als ich durch das Fenster geschaut hatte. Die Glocke hörte auf zu läuten. Hinter mir hörte ich das Friedhofstor quietschen. Quasimodo auf dem Weg nach Hause zum Mittagessen, dachte ich, ging jedoch schneller. Fast rannte ich, als ich einen Blick über die Schulter warf. Und dann explodierte mein Kopf.

30
    Ich wachte im Krankenhaus auf; mein Kopf platzte schier vor Schmerzen. In einem Stuhl neben dem Bett schlief Daniel tief und fest; sein Kopf war nach hinten gesunken, der Mund stand leicht offen. Was auch nichts ausmachte, denn er hatte wirklich schöne Zähne. Die Haare standen ihm schon wieder zu Berge, offenbar hatte er sie sich wieder gerauft. Mir war aufgefallen, das machte er, wenn er nicht mehr weiterwußte. Irgendwie charmant, wenn auch etwas theatralisch. Er schnarchte leise. Jetzt wußte ich also, was mich erwartete, aber ich war noch nicht soweit. Ich kam mir ungeheuer verletzlich vor.
    Als ich die Augen schloß, hatte ich das Gefühl, jemand ziehe mir ein scharfes Messer über den Kopf. Ich machte sie wieder auf. Den rechten Arm konnte ich nicht bewegen, der linke gehorchte mir, auch wenn er eine Tonne wog. Mein Kopf, mein armer pochender Kopf, und mein rechter Arm waren bandagiert. Im Handrücken steckte eine Spritze, die über einen durchsichtigen Schlauch mit einer Bluttransfusionsflasche verbunden war. Ich versuchte, nicht an Aids zu denken. Statt dessen machte ich mir Sorgen, wie lange Dieters Geduld mit seiner nicht einsatzfähigen Direktorin in spe reichen würde.
    Eigentlich wollte ich gar nicht über derart

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