Fallende Schatten
Sex bringt alles wieder ins Gleichgewicht.
Daniel kümmerte sich rührend um mich. In den folgenden Stunden wuchs mein Vertrauen zu ihm, wurde immer stärker. Er fuhr mit mir in einem Krankenwagen zu einer Privatklinik in London. Bis heute weiß ich nicht, ob er oder Dieter die Verlegung veranlaßt hatten, ich schätze, beide hatten die Hand im Spiel. Jedenfalls, die anschließende Woche lebte ich wie in einer schützenden Hülle geborgen und wurde von hinten bis vorne bedient. Meine einzigen Besucher außer Daniel waren Maria und Dieter. Nicht, daß ich Jen nicht mehr vertraut hätte, aber ich hatte immer noch Angst. Wie konnte ich mir wirklich sicher sein, wer genau ihr neuer Schwarm war, solange ich ihm nicht begegnet war? Und danach war mir mit Sicherheit nicht zumute.
Milos Beerdigung wurde auf das Ende der folgenden Woche verschoben. Am Montagmorgen verkündete Daniel nervös, er müsse noch an dem Nachmittag nach Hause zurück, um mit seinen Operationen nachzukommen. Mag sein, daß das zutraf, aber ich hatte das Gefühl, er brauchte Zeit für sich selber, um über all das hinwegzukommen, um seinen Vater zu betrauern. Er versprach, Donnerstag oder Freitag zurückzukommen, und verlangte mir alle möglichen Versprechen ab, ja brav zu sein. Da ich wie ein preisgekröntes Rennpferd bewacht wurde, blieb mir gar nichts anderes übrig. Jedenfalls hatte ich das Interesse daran, die Dinge direkt anzugehen, so ziemlich verloren. Durch die Gegend zu hetzen war mir nicht gerade gut bekommen. Ich würde eher herausfinden, wer der mörderische Angreifer war, wenn ich mich in Ruhe hinsetzte und angestrengt nachdachte. Und um dies zu tun, befand ich mich genau am richtigen Ort.
Am Montagnachmittag wurde der Verband um meinen Kopf gewechselt; es war ein regelrechter Schock, als ich mich zum ersten Mal kahlköpfig erblickte. Ein nicht gerade empfehlenswerter Anblick. Ich rief Maria an, ob das Päckchen aus Dublin schon angekommen sei.
»Nein, noch nicht. Ich habe mich bei der Post erkundigt, und die haben gesagt, morgen oder am Mittwoch müßte es da sein. Ich zische sofort zu dir, sobald ich es habe. Heute Abend sehen wir uns ja ohnehin. Ruh dich aus, Nell, ruh dich aus.«
Ich berichtete ihr, daß ich keine Haare mehr hatte, und fragte sie, ob sie nicht Lust hätte, ein Vermögen für eine Auswahl verrückter Hüte auszugeben. Gegen sieben kam sie mit zwei vollgepackten Schachteln an. Während wir mich mit den vier schönsten ausstaffierten, ließ ich ihr Gehirn für mich nachdenken. Mein eigenes war noch zu träge, die Versuchung, mich zu einer Kugel zusammenzurollen und alles zu vergessen, war nahezu unwiderstehlich. Aber ich konnte nicht ewig in der Sicherheit der Klinik bleiben.
»Maria, wenn du eine Pension in Brighton hättest, wie würdest du die nennen?«
»Soll das ein Spiel sein?«
»So was Ähnliches.«
»Was für eine Person bin ich?« fragte sie und spielte mit.
»Ein Filmfan – dreißiger bis fünfziger Jahre.«
»›Flüchtige Begegnung‹? Hey, das ist ein guter Name für eine Pension«, kicherte sie.
»Was Humor betrifft, bin ich mir nicht so sicher. Versucht mit Romantik. Mein Gott, tut mir der Schädel weh.«
»Casablanca?«
»Casablanca.« Ich sagte: »Casablanca«, und dann fing ich an zu weinen. Ich wollte den nächsten Schritt nicht tun, wollte keine Entscheidungen mehr fällen.
»Kannst du mir etwas darüber erzählen?« fragte Maria sanft.
»Ich versuche, jemanden in Brighton aufzuspüren. Arthur Reynolds. Die Auskunft habe ich schon angerufen, aber er steht nicht im Telefonbuch.«
»Er hat ein Gästehaus?«
»Hatte. Möglicherweise hat er es verkauft.« Niedergeschlagen zuckte ich die Schultern. Eine Minute lang sah Maria mich an, dann nahm sie den Telefonhörer.
»Ich hab einen Freund, der Nachtschicht bei der Telefonauskunft macht. Mal sehen, ob der uns helfen kann.«
Nachdem Maria ihm gesagt hatte, was wir suchten, brauchte er genau zehn Minuten, um zurückzurufen. Es gab ein Casablanca (Privathotel). Ich hielt den Atem an, als Maria ihn fragte, unter welchem Namen es lief. Sie hörte sich seine Antwort an und strahlte mich dann an.
»Symons. O herrje. Was? Das ist großartig. Vormals Reynolds? Arthur? Oh, Mrs. Maisie? Augenblick.« Sie sah mich fragend an, ich streckte den Daumen hoch. »Ja, ja, ja. Gib mir bitte die Nummer. Und die Adresse.«
Sie bekam beides, allerdings nicht, ohne einen Vortrag über Moral, was Telefonauskünfte betrifft, mitgeliefert zu bekommen.
»Wer
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