Fallende Schatten
meine Liebe, als wir ihn aufsuchen wollten. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen jetzt noch weiterhelfen kann.«
»Dr. Stockport, ich weiß, Sie haben es eilig, aber macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich kurz mit Ihrem Assistenten unterhalte? Sie würden mir damit einen großen Gefallen tun.«
Der Assistent, Tom Rowall, klang viel jünger und weit weniger förmlich. Er begriff schnell, als ich ihm erklärte, was ich wollte.
»Na ja, normalerweise erinnere ich mich nicht so gut an derlei, aber natürlich hat Graham mich ausgequetscht. Die Person, die hier vorbeigekommen ist, war jedenfalls ziemlich beeindruckend.«
»Inwiefern?«
»Groß, schlank und ziemlich theatralisch gekleidet. Schwarzer Cecil-Beaton-Hut«, lachte er. »Langer, cremefarbener Regenmantel aus Seide, mit Gürtel. Sah ziemlich nach Armani aus.«
Groß und schlank. Nicht Arthur, Daniel, dachte ich einen Augenblick lang, in dem mir das Herz stehen blieb.
»Sie haben gesagt: Person. War das nur politische Korrektheit?« fragte ich.
Er lachte erneut. »Sie sind ganz schön raffiniert. Nein, nicht politisch korrekt. Ich weiß es einfach nicht. Hätte beides sein können. Allzu sehr habe ich nicht darauf geachtet. Antiquitätenhändler, habe ich mir gedacht; viele von denen sind ein bißchen, hm, extravagant. Aber ich weiß es nicht. Hat das Buch nur sehr ungern dagelassen – das war ungewöhnlich.«
»Weil Antiquitätenhändler das häufiger tun?«
»Ja, jedenfalls die ehrlichen. Das sind natürlich nicht alle, und das ist einer der Gründe, weshalb wir alles photographieren, wie Ihnen Graham sicher erzählt hat.«
»Sehr ausführlich«, bestätigte ich, ohne lange nachzudenken.
Er lachte leise schnaubend. »Und zwar nicht nur einmal, hm?«
»Richtig.« Wir kicherten beide.
»Haben Sie zufällig noch andere Experten erwähnt, die diese Person um Rat fragen könnte?« fragte ich hastig.
Er antwortete nicht sogleich. Im Hintergrund hörte ich das Rascheln von Papier.
»Na ja, das hatte ich vergessen. Ich glaube, ich habe ihn an die Bodleian in Oxford verwiesen. Dort gibt es etliche Experten.«
Ich schluckte. »Hatte Ihr Antiquitätenhändler eine Katze dabei?« fragte ich.
»Nein, und auch keinen Besen«, lachte er. »War meine Beschreibung so gut?«
»Aufs Haar genau, fürchte ich.« Vorsichtig legte ich den Hörer auf, ließ mich zurücksinken, und gleich darauf schlief ich fest.
Als ich aufwachte, standen neben Lilys Päckchen zwei riesige Blumensträuße auf dem Nachttisch. Blaßrosa Rosen, mit lieben Grüßen von Daniel; weiße Lilien und Nelken mit den besten Wünschen von Dieter. Das Zimmer duftete wie ein Garten. Gott sei Dank waren keine Chrysanthemen dabei. Was haltbare Blumen betrifft, bin ich mit Oscar Wilde einer Meinung; ich kann ihren Geruch nicht ausstehen.
Ich bewunderte meine Blumen, so lange das ging, um das Öffnen des Päckchens hinauszuschieben. Ich war ungeduldig, und doch hatte ich keine rechte Lust dazu. Schließlich zog ich das Klebeband ab, entfernte das Papier und wickelte langsam Milos wunderschöne, cremefarbene Pergamentkassette aus. Sie hatte ungefähr die Größe einer Zigarrenkiste. Der Deckel war reich in Goldprägung verziert. Lilys Name sah aus, als hätte er ihn selber geschrieben, und war von einem filigranartigen Spitzenmuster umrahmt. Die Kassette war verschlossen.
Ich hob sie hoch und entdeckte darunter einen Umschlag. Als ich ihn mit zitternden Händen öffnete, fiel ein kleiner Schlüssel aufs Bett. Es war, als triebe ich an der Zimmerdecke dahin und beobachtete, ganz losgelöst, mich selber, wie ich den Brief aus dem Umschlag zog.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach mich; ich schob Lilys Sachen unter die Bettdecke, als eine der jungen Schwestern ins Zimmer trat.
»Herrje, Sie haben vielleicht viele Verehrer. Was für wunderschöne Blumen. Und ein französischer Brief, vielleicht sogar ein Pariser«, sagte sie, als sie mir die Post reichte. Als ich kicherte, wurde sie rot und schlug sich mit der Hand auf den Mund. »O mein Gott«, stammelte sie, »ich wollte sagen: aus Paris. Tut mir leid.« Ängstlich sah sie mich an.
»Das macht doch nichts. Nette Idee.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Wenn auch ein bißchen optimistisch.«
Sie fuhrwerkte herum, räumte im Zimmer auf, arrangierte die Blumen ein wenig anders.
»Ihre Haare werden viel schneller nachwachsen, als Sie glauben«, sagte sie aufmunternd. »Ich habe letztes Jahr meine abrasiert, nur um das mal auszuprobieren. Fast hätte ich
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