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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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passiert?«
    »Wozu? Du kannst ja doch nichts für mich tun, niemand kann mir helfen.« Er würgte.
    »Pst. Nicht so laut«, zischte sie. »Du weckst Mutter.«
    Myles machte sich von ihr los. »Laß mich in Ruhe. Es ist alles so wirr. Bitte. Du kannst gar nichts machen.«
    »Jammer nicht herum«, befahl sie schroff. »Schnell. Erzähl mir, was passiert ist.«
    »Ich war drunten in der Buchbinderei. Hab zu lange mit dem alten Josh geplaudert …«, setzte er an.
    Hanora packte seine Hand. »Du warst bis jetzt weg? Bis zwei Uhr? Da drunten in dieser Bruchbude? Der alte Kerl nützt dich bloß aus. Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht …«
    »Halt den Mund«, fuhr ihr Bruder sie an. »Das tut er nicht, nein …«
    Ungeduldig zuckte Hanora die Schultern. »Verdammter Geizkragen«, brach es heftig aus ihr heraus. »Du hättest schon vor Stunden zu Hause sein sollen. Was, um alles in der Welt, hast du dort gemacht?«
    Myles schüttelte sie ab und begann auf seinen Nägeln herumzukauen.
    »Ich hab ziemlich lang gearbeitet … Mr. Handl wollte, daß ich etwas fertigmache. Und dann hab ich ihm noch eine Weile Gesellschaft geleistet. Er ist ein alter Mann, Han. Und einsam, seit seine Frau gestorben ist.«
    »Ich geb’s auf. Er zahlt dir keinen Penny. Du demütigst dich selber … stets zu Diensten, auf den kleinsten Wink hin …«, begann seine Schwester mit einem altbekannten, oft heruntergebeteten Klagelied.
    Myles starrte sie an. »Ich habe etwas Schreckliches erlebt, und das ist alles, was du dazu zu sagen hast«, flüsterte er angespannt. Sie berührte seinen Arm. »Tut mir leid, mein kleiner Milo. Sag mir, was passiert ist. Bitte. Reynolds ist nicht wirklich tot, stimmt’s?« Sanft zog sie sein Gesicht zu sich heran, umfaßte seine kalten, blassen Wangen mit ihren warmen, starken Händen. Ihre Augen bohrten sich in seine, aber sie hörte schweigend die paar Minuten zu, die er brauchte, um ihr seine Geschichte von dem Zeitpunkt an, als er den Buchladen in Ringsend verlassen hatte, zu berichten.
    »Nur die Frau hat dich gesehen? Wie denn? Du hast gesagt, es hätten keine Lichter gebrannt, alles sei dunkel gewesen. Ich kapier nicht, was du …«
    Ihre Worte wurden von einer ungeheuren Explosion übertönt, auf die, nach einem atemlosen Augenblick, ein fast greifbares Schweigen folgte. Voll verwunderter Überraschung starrten Bruder und Schwester einander an.
    Dann liefen beide gleichzeitig auf die Tür zu und rissen sie auf. Der Himmel im Norden leuchtete in gespenstischem Blau, das in Orange und dann in Rot überging. Irgendwo auf der anderen Seite der Bucht loderte ein riesiges Feuer. Große, flackernde Lichtblitze zuckten durch die Luft, von ungeheuren Rauchwolken umhüllt. Die Lichter von Flugabwehrgeschützen schossen kreuz und quer über den Himmel. Rechts und links von ihnen wurden Fenster und Türen geöffnet und bei dem Geräusch von noch mehr Schüssen und Sirenen genauso schnell wieder geschlossen. Es war ein ungeheurer Lärm. Irgend jemand begann nach Freiwilligen zu rufen.
    Verschreckt hasteten Hanora und Myles ins Haus zurück und klammerten sich dabei aneinander. Sie schlichen zu dem Fenster im vorderen Zimmer und spähten auf die Straße hinaus. An der Ecke versammelte sich allmählich eine Gruppe von Männern. Hilflos standen sie da und riefen einander Anweisungen zu. Ein Polizist kam angerannt. Sie hörten ihn rufen: »Auf dem North Strand!« Vier oder fünf Männer mit den Armbinden der verschiedenen Freiwilligenorganisationen folgten ihm. Binnen weniger Minuten tauchte ratternd ein bereits gefährlich überladener Armeelastwagen aus der Dunkelheit auf; die Leute stiegen auf.
    »Milo.« Hanora legte den Finger auf die Lippen und nahm ihren Hut ab; ihre langen braunen Haare fielen ihr auf die Schultern. Leise öffnete sie die Vordertür. »Horch mal.«
    In der Ferne hörten sie das blecherne Scheppern von Krankenwagen- und Polizeischellen. Der ganze Himmel stand jetzt in Flammen, und riesige Rauchwolken stiegen vor dem roten Horizont auf.
    »In Gottes Namen, was geht hier vor?« Ihre Mutter tauchte oben an der schmalen Treppe auf. Sie sah aus, als sei sie soeben aus einem tiefen Schlaf erwacht, ganz durcheinander und zerzaust. In ihren Ohren steckten kleine Wattebäusche.
    »Hanora, Myles, was macht ihr hier um diese Zeit? Warum seid ihr nicht im Bett? Wieso seid ihr angezogen? Du hast doch nicht etwa getrunken, Myles?« fragte sie argwöhnisch. »Oh, was ist nur aus mir geworden? Ich weiß nie, was

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