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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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daß die ganze Bande auf dem Weg zum Meer war, um dort den Tag zu verbringen. Der Name Skerries fiel. Eines der Mädchen sagte, sie müßten den längeren Weg nehmen, weil der North Strand gesperrt sei.
    Einer der Jungen schnitt eine Grimasse und erklärte, das sei ohnehin der einzig richtige. Endlich kam Milo aus dem Haus gestürmt. Auch er hatte einen Rucksack dabei, nur war der viel größer als die der anderen. Einer von ihnen fragte, ob er die Spüle darin verstaut hätte, und alle fingen zu lachen und zu spotten an.
    Zu einem der Mädchen sagte Milo: »Ich hab ein Handtuch für dich eingepackt, Hanora.« An dem Namen merkte Lily, daß das groß gewachsene, ausnehmend hübsche Mädchen seine Schwester war; sie brauchte also nicht eifersüchtig zu sein.
    Ungefähr in diesem Augenblick bog ein Mann auf einem alten Tandem um die Ecke. Einer der Jungen fing an Daisy, Daisy zu singen, und ein oder zwei andere stimmten ein und sangen ein paar Takte mit, bis Milos Schwester sie anfuhr, sie sollten den Mund halten. Sie schwang sich auf den hinteren Sitz und rief: »Los geht’s!« Besonders geschickt stellten die beiden sich nicht an. Alle fingen wieder an zu lachen, und einer von ihnen sagte, das Ding gehöre eigentlich ins Museum. Als es so dahinzuckelte, bekam Milos Schwester einen Lachanfall und brüllte: »Halt!« Der Mann auf dem Vordersitz fiel fast herunter, aber sie saß einfach da wie eine Königin, hielt sich den Bauch vor Lachen und winkte die anderen weiter. Aus ihrer Tasche zog sie eine weiße Kappe und verstaute ihre wunderschönen, langen dunklen Haare darunter.
    Lily fand, sie sah aus wie ein Filmstar. Zu einer blaßrosa Bluse trug sie eine weite marineblaue Hose; jetzt bat sie den Mann, sie ihr in die Socken zu stopfen, damit sie sich nicht in den Speichen verfing. Und er tat, was sie ihm sagte, was Lily völlig verblüffte, da er viel zu alt aussah, um sich so herumkommandieren zu lassen. Einige der anderen steckten ebenfalls ihre Hosen in die Strümpfe oder rollten sie auf. Als die ganze Schar endlich soweit war und aufbrach, rief Milos Schwester ihm zu, er solle sich beeilen.
    Er fuhr ganz am Ende, zusammen mit den Nachzüglern.
    Lily dachte, er sähe sie nicht, aber als er an ihr vorbeifuhr, blieb er ein kleines Stück zurück, wandte den Kopf in ihre Richtung und nickte ihr leicht zu. Sie holte die Leinwandtasche hinter ihrem Rücken hervor und hielt sie vor sich an die Brust gepreßt. Die Erleichterung, die sich auf seinem Gesicht abzeichnete, war ihre Belohnung. Er zuckte ein wenig zusammen, sein Mund öffnete sich, dann sah er sie direkt an und nickte erneut. Sie senkte den Kopf, legte den Finger auf die Lippen und konnte nur hoffen, daß er verstand. Er sah schrecklich aus. Verängstigt und müde. Dann war alles vorbei.
    Sie stand stocksteif da, sah ihnen nach und kämpfte mit den Tränen. Einer der Männer kam zurück, fuhr um Milo herum und drängte ihn zur Mitte der Gruppe. Bald war er außer Sichtweite. Verschwunden. Den ganzen Weg nach Hause rannte Lily und versteckte dann das kostbare Bündel an einem Platz, von dem sie wußte, dort würde niemand es je finden. Als sie die Treppe hinaufstieg, hörte sie Jimmy schreien.
     
    Und so wimmelte Lily O’Keefe mit ihrer unergründlichen Unschuld immer wieder ab, verbarg ebenso viel von dem, was sie über jene schreckliche Nacht wußte, wie sie preisgab. Am faszinierendsten war, daß sie nie sagte, sie glaube den dunklen Schatten hinter dem Busch erkannt zu haben. Wer der Radfahrer war, das wußte sie wirklich nicht. Noch kam sie dahinter, welche Rolle die seltsame, geisterhafte Erscheinung bei dem Mord gespielt hatte. Und am schlimmsten von allem, sie konnte sich nicht zusammenreimen, was Milo auf der anderen Straßenseite gemacht hatte. Aber sie wußte, es sah schlecht für ihn aus, sehr schlecht. Zu allem Überfluß befanden sich nämlich unter den Werkzeugen in der Leinwandtasche auch scharfe Messer.
    Lily hielt den Mund, weil sie gewitzt genug war, um sich auszurechnen, daß fast alles, was sie sagte, auf Milo zurückfallen würde. Ihr war es egal, wer Buller Reynolds getötet hatte. Und warum. Sie war froh, daß er weg war; dankbar, daß er sie nie wieder quälen würde. Milo war ihr Freund, und ihn wollte sie beschützen. Und die beste Art und Weise, dies zu tun, war zu schweigen, das wußte sie.
     
    Myles McDonagh kam von jenem so unschuldig wirkenden Ausflug am Pfingstmontag nicht zurück. Kam überhaupt nicht mehr zurück. Es

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