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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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ihre Adresse auf einen Zettel kritzelte und versprach, das Kleid im nächsten Tag vorbeizubringen. Sie bedankte sich nicht.
    »Das will ich doch meinen. Es ist bereits bezahlt. Ich zahle immer im voraus.« Sie legte auf, ohne ihren Namen tu nennen.
    Ich gab meine Suche auf. Der einzige Schraubenzieher, den ich finden konnte, war ein winziger elektrischer – viel zu schwach. Bis zur Eisenwarenhandlung waren es gut zehn Minuten zu Fuß. Ich ging wieder hinauf, um mich umzuziehen. Merkwürdigerweise hatte ich in der Aufregung darüber, auf den kleinen Wagen gestoßen zu sein, für den Augenblick ganz die Photographie vergessen. Als ich in meine Bluse schlüpfte, ertappte ich mich, wie ich sie erneut anstarrte.
    Sie zeigte Lily mit einem unbekannten Begleiter und war mit Sicherheit innerhalb der letzten drei Jahre aufgenommen worden. Die Datierung war einfach, denn ungefähr um diese Zeit hatte sie sich einen Bubikopf schneiden lassen. Sie saßen vor einem Café, dessen Name weggeschnitten war. Vielleicht irgendwo in Richmond, dachte ich, mußte jedoch zugeben, daß ich die Stelle nicht erkannte. Lily saß seitlich zur Kamera, schirmte ihre Augen vor der Sonne ab und lächelte über das Durcheinander auf dem Tisch einem Mann zu, der einen Panamahut trug. Sein Gesicht hatte er auf die Hände gestützt, so daß es nicht zu erkennen war. Ich nahm die Photographie aus dem Rahnen, aber auf der Rückseite stand nichts. Sorgfältig betrachtete ich das Photo und versuchte herauszubekommen, wo es aufgenommen worden war. Der Hintergrund war ziemlich nichtssagend. Lediglich ein herabhängender Korb voller Blumen vor den Umrissen eines Caféfensters. Wohl eine halbe Stunde lang muß ich das Bild angestarrt haben, ehe mir der verschwommene rötliche Farbfleck eines doppelstöckigen Busses auffiel, der sich in der Fensterscheibe spiegelte. In Irland sind die Busse normalerweise grün.
    Vor allem der Mann brachte mich aus der Fassung. Um eine der verrückten Zufallsbekanntschaften Lilys handelte es sich eindeutig nicht, dazu war die Situation zu entspannt und intim. Es war die einzige Photographie von ihr, die sie überhaupt behalten und sogar aufgestellt hatte. Ihr Hochzeitsphoto fehlte. Ich fühlte mich schrecklich. Sie strahlte förmlich. Ich zog mich an und ging nach Dun Laoghaire hinunter, um einen Schraubenzieher zu kaufen.

15
    An der Abdeckplatte waren auf beiden Seiten winzige Lederschlaufen befestigt, so daß man sie ohne weiteres aus der Kiste ziehen konnte. Darunter war eine kleine Strickdecke fein säuberlich so gefaltet, daß sie genau hineinpaßte. Ich legte sie aufs Bett und holte dann das in braunes Papier gewickelte Päckchen hervor, das den restlichen Raum darunter einnahm. Es maß ungefähr achtzehn auf fünfundzwanzig Zentimeter und war für seine Größe erstaunlich schwer. Das kräftige schwarze Band, das das Ganze zusammenhielt, war fest verknotet, was zu einer erneuten fieberhaften Suche nach einem Werkzeug führte, um es durchzuschneiden. Da ich Lilys Schneiderscheren bereits weggegeben hatte, mußte ich mich mit einem Küchenmesser behelfen. Das erinnerte mich daran, ich hatte mich immer noch nicht entschieden, was ich mit der Küchenausstattung meiner Mutter anfangen sollte.
    Seit ich beschlossen hatte, noch eine Weile in Dublin zu bleiben, hatte diese Art von Zerstreutheit zunehmend überhand genommen. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. In der einen Minute haderte ich mit dem Schicksal, in der nächsten wurde ich von panischer Angst gequält, was wohl im Büro vor sich ging – bei ihren letzten Anrufen hatte Jen angedeutet, Roger führe möglicherweise etwas im Schilde. Am beunruhigsten war jedoch, daß ich immer wieder eine dringliche Sache anging, um mich gleich darauf treiben zu lassen und etwas völlig Überflüssiges zu tun. Normalerweise bin ich nicht so schusselig, und es machte mich furchtbar wütend. Jede Menge Dinge war noch zu erledigen, ehe ich wieder nach London zurückflog, und ich war zu nichts anderem imstande, als im Schlafzimmer herumzutrödeln.
    Ich machte es mir auf dem Bett bequem und wickelte mit fast so etwas wie freudiger Erwartung das Päckchen aus: einen kleinen weißen Karton, in dem sich zwei dicke, in Leder gebundene Bücher mit kunstvoller Goldprägung befanden. Meine Überraschung hätte nicht größer sein können. Bücher? Lily hatte nie viel gelesen. Zeitschriften und Zeitungen, das schon, aber keine Bücher.
    »Ich war das einfach nie gewohnt, Schätzchen«,

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