Fallende Schatten
aus den unglaublichsten Quellen Informationen hervorlockte. Und eben deshalb hatte ich ihm, als er erklärt hatte, meine Mutter sei bei einem Unfall ums Leben gekommen, das einfach geglaubt. Ich hatte angenommen, falls er irgendwelche Zweifel daran hätte, würde er etwas unternehmen. Jetzt schoß mir der sehr unfreundliche Gedanke durch den Kopf, daß diese Schweigsamkeit vielleicht nichts weiter als Trägheit war; vielleicht wollte der Mann einfach ein ruhiges Leben führen, Zigarette in der einen, ein Glas Guinness in der anderen Hand.
»Mich quält der Gedanke, daß meine Mutter möglicherweise getötet worden ist«, erklärte ich unvermittelt. Überrascht warf er den Kopf zurück und zog eine Augenbraue hoch. »Ich meine: absichtlich.« Er nahm das auf, um darüber nachzugrübeln. Ich kam mir schon ein wenig albern vor, als er nach einer ziemlich langen Pause aufseufzte. Seine Begeisterung war zwar nicht gerade überwältigend, aber zumindest blieb er höflich.
»Wie das?«
Jetzt war es an mir zu schweigen, jedoch nur, weil ich alles einfach und der Reihe nach erzählen wollte. Ich wollte vermeiden, irgendwie verwirrt zu klingen. Denn eine zweite Chance, so glaubte ich, würde er mir nicht geben. »Da sind einige Dinge: Am Tag nach der Beerdigung hat mich ein Mann angesprochen und gesagt, er glaube, meine Mutter sei ermordet worden.« Inspector Morans Augenbrauen schossen in die Höhe, und ich vermeinte ein leichtes Zucken um seinen Mund zu bemerken.
Und dann überraschte er mich. »Sie haben gesagt: einige Dinge«, erklärte er ruhig. »Erzählen Sie mir einfach, wovor Sie am meisten Angst haben, erzählen Sie mir, was Sie dazu gebracht hat, zu glauben, Ihre Mutter sei, hm, ermordet worden. Das glauben Sie doch, nicht wahr?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich soweit gehen würde, von ›glauben‹ zu sprechen«, erklärte ich gedehnt.
Er trank einen großen Schluck Bier, ehe er weiterredete. »Das hier ist inoffiziell, richtig? Sie beschuldigen niemanden, oder?«
»Nein, ich will nur das Ganze für mich selber klären.«
»Also gut. Erzählen Sie mir, was vorgefallen ist. Einfach so, wie es Ihnen gerade einfällt.« Er lächelte. »Ich kann gut zuhören.«
Das stimmte. So unkompliziert wie möglich berichtete ich ihm von Arthur Reynolds und Hanion und meinem Verdacht, der eine oder andere der beiden, vielleicht auch beide, hätten im Haus herumgeschnüffelt. Als ich erwähnte, nur ein- oder zweimal hätte ich ganz vage das Gefühl gehabt – stärker drückte ich es nicht aus –, jemand sei im Haus gewesen, während ich weg war, fragte er mich nach meinen Nachbarn und meinte, es hätte doch ohne weiteres Mrs. Dwyer sein können, die etwas für den Hund suchte. Schließlich und endlich hatte sie einen Schlüssel, nicht wahr? Da er ein wenig barsch klang, ließ ich die Sache mit Reynolds Vater und seine Behauptung, meine Mutter hätte ihn gekannt, aus, weil mir das alles wie dummes Geschwafel vorkam.
Auch die Tagebücher erwähnte ich nicht: Sie schienen im Augenblick nicht so wichtig, und außerdem waren sie etwas sehr Persönliches, auch wenn mir das irgendwie vertraute Datum nicht mehr aus dem Kopf ging. Daß ich nichts von ihnen sagte, konnte ich damit rechtfertigen, daß ich sie noch nicht gelesen hatte. Zu diesem Zeitpunkt erzählte ich auch noch nichts von Mrs. Hanrahan. Statt dessen beschrieb ich meine Reise in die Daedalian Road und was die Kinder gesagt hatten. Als er das hörte, richtete er sich auf.
»Sie sind mit dem Auto da, stimmt’s?« Er trank sein Glas aus. »Ein Drink wird Ihnen nicht schaden. Was hätten Sie gern?«
Ich bat um einen Gin Tonic. Mit Eis und Limone. Er warf den Kopf zurück und lachte schallend. »Wissen Sie was, ich spendiere Ihnen einen doppelten, Miss Gilmore, wenn die hier Limonen haben. Tut’s ansonsten auch Zitrone?«
Als wir beide unsere Drinks hatten, fragte er ruhig: »Also, was erzählen Sie mir nicht?« Als ich Einspruch erheben wollte, hob er die Hand.
»Ihre Mutter wurde in der Daedalian Road gesehen, genau an der Stelle, wo sie getötet wurde. Das ist ein ungeheurer Zufall. Wert, darüber nachzudenken, das ist das mindeste. Aber das ist nur eine Sache. Auf Hanion und Reynolds kommen wir später zurück. Was ist sonst noch vorgefallen?«
Jetzt berichtete ich ihm von meinem Besuch in der Upper Mount Street und versuchte das Gefühl in Worte zu fassen, daß Mrs. Hanrahan mich ausgehorcht hatte. Das alles klang wenig überzeugend. Und jetzt konnte
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