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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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ihr, wo das passiert ist?« fragte ich.
    »Klar.« Seine Kumpanin stand auf. »Hier. Vor einer von den Fabriken da, hat mein Dad gesagt. Ganz nah bei dem Laternenpfahl.« Sie deutete zu der Stelle, wo die Straße nach links bog.
    »Danke.« Ich konnte kaum sprechen; ein Kloß steckte in meinem Hals. Sie kamen auf mich zu, anscheinend plötzlich interessiert. In ihren vergammelten Jeans und Schnürstiefeln sahen sie wie zwei geklonte Kleinganoven aus. Der einzige Unterschied zwischen ihnen bestand darin, daß in die gefärbten Haare des Mädchens einige Strähnen mit Perlen eingeflochten und ihre Augen von Kajalstift verkrustet waren. Fröhlich waren sie nicht gerade, aber irgendwie kriegten sie es immer noch hin, ganz gut auszusehen.
    »Haben Sie die gekannt, Miss?« Neugierig beäugte der Junge mich. Ich nickte; zu sprechen traute ich mich nicht.
    »Kippe?« Zum Schutz vor Pest und Pestilenz kreuzte ich die Finger, klaubte den Stummel aus seiner ausgestreckten Hand und ließ ihn von ihm anzünden. Dann setzten wir uns alle drei auf den Bordstein und inhalierten traut vereint. Seit Ewigkeiten war das meine erste Zigarette.
    »Kommt ihr oft hierher?« wollte ich wissen.
    »Ja. Hab’n sonst nix zu tun …« Sie blickten einander schuldbewußt an und lachten.
    »Ich habe mich nur gefragt, ob ihr sie irgendwann mal gesehen habt. Die Frau, die hier überfahren worden ist. Sie hatte einen kleinen weißen Hund. Manchmal ist sie mit dem Auto da gefahren.« Ich deutete auf den Renault. Das Mädchen, schätzungsweise zwölf oder dreizehn Jahre alt, stand auf und ging um den Wagen herum. Lange blieb sie davor stehen und schwang dabei einen Fuß vor und zurück. Dann schüttelte sie ein bißchen verunsichert den Kopf.
    »Sie hat sehr bunte Sachen angehabt. Gar nicht wie eine alte Frau. Rot, blau, rosa«, rief ich. Sie antwortete nicht, sondern umrundete weiterhin feierlich das Auto.
    »Komm mal her, Pete!« Sie winkte ihren Gefährten zu sich. Flüsternd standen sie eine Weile dicht nebeneinander. Dann öffnete sie mit schallendem Lachen die Tür auf der Fahrerseite und setzte sich hinters Steuer. Und in dem Augenblick fiel mir ein, ich hatte den Zündschlüssel stecken lassen. Ich brüllte zu ihnen hinüber, sie sollten keinen Unfug machen. Pete hüpfte übermütig in die Höhe und boxte mit den geballten Fäusten in die Luft.
    »Klasse Ding, Jackie!« Das Mädchen sprang aus dem Wagen, und mitten auf der Straße führten sie einen kleinen Tanz auf. Sie lachte, als sie den Zündschlüssel in meinen Schoß fallen ließ. »Das sollten Sie nich machen in der Gegend hier, Miss«, meinte sie. »Trotzdem, prima Karre.« Wieder lachte sie. »Hätt ihn schon nicht geklaut, ehrlich. Ich kann nicht fahren.« Sie schien sich selber sehr komisch zu finden.
    »Ihr habt meine Frage nicht beantwortet.«
    »’tschuldigung, Miss. Die haben wir nicht gesehen, die alte Dame. Die Karre auch nicht.« Sie zuckte die Schultern; was das Auto betraf, schien sie sich nicht ganz sicher zu sein.
    »Vielleicht schon«, fügte der Junge gutmütig hinzu, »aber wir wissen’s nicht mehr. Ist das so wichtig?«
    »Ich glaube nicht … Ich hab mich nur gefragt …«, setzte ich an.
    Plötzlich packte Jackie, die immer noch das Auto anstarrte, mich am Arm. »Hey, hey! Ich erinner mich. Die ist mitten auf der Straße rumgekurvt, stimmt’s?« erklärte sie triumphierend und führte erneut einen kleinen Tanz auf. »Irre. Weiße Haare, wie der Hund. Oh, ’tschuldigung, Miss. Hat sie weiße Haare gehabt?«
    »Ja. So geschnitten.« Mit den Händen deutete ich einen Bubikopf an.
    Jackie nickte heftig. »Genau. Weißt du noch, Pete? Is Ewigkeiten her. Hat in Strömen gegossen an dem Tag. Komm schon, ’türlich erinnerst du dich. Der Hund ist auf dem Vordersitz gesessen. Und hat mit den Pfoten ans Seitenfenster gepatscht. Hat rausgeguckt.« Beim Gedanken daran kicherten die beiden.
    Pete meinte: »Ja, stimmt. Jetzt weiß ich’s wieder. War fast schon dunkel. Wir haben ein trockenes Plätzchen gesucht. Sie ist eine Minute unter der Lampe da stehen geblieben. Und da haben wir den Hund gesehen. Sind fast geplatzt vor Lachen. Das hat ihn ganz verrückt gemacht. Er hat angefangen zu bellen.« Er drehte sich zu dem Mädchen um.»Haben wir die später noch mal gesehen, Jackie?«
    Sie biß sich auf die Lippe, während sie nachgrübelte, schüttelte dann jedoch bedächtig den Kopf. Pete beschrieb mit den Händen eine ausdrucksvoll bedauernde Geste. »Tut uns leid,

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