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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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Miss.«
    »Augenblick.« Mir war ein anderer Gedanke gekommen. »Hat sie auf einer Karte nachgesehen oder so?«
    Auch darüber dachten sie lange nach. Jackie kniff die Augen zusammen, als versuchte sie sich vorzustellen, was sie gesehen hatte. Schließlich wandten sie sich zueinander und schüttelten wie ein Paar siamesischer Zwillinge den Kopf.
    »Glaub nicht, vielleicht, aber die is irgendwie nur dagesessen und hat die Straße hinaufgeschaut.« Pete deutete in Richtung Sandymount.
    Und dann sagten wir alle drei nichts mehr. Schließlich stand ich auf, um zu gehen, als Jackie etwas einfiel. »Die hat das gleiche gemacht wie Sie.«
    »Was?«
    »An dem Tag, wo wir sie gesehen haben, is sie ausgestiegen und die Straße rauf, um die Ecke rum, dann is sie wieder zurück.« Sie zuckte die Schultern. »Später haben wir sie nich mehr gesehn. Is einfach weggefahr’n. In der Mitte von der Straße.« Sie kicherte erneut und sah mich beifallheischend an.
    Ich gab ihnen einen Fünfer und nahm sie im Auto bis Irishtown mit, dann stapfte ich selber eine Stunde durch den nassen, kühlen Sand von Sandymount. Als ich mich auf den Heimweg machte, setzte die Flut ein. Egal, wie ich die Sache drehte und wendete, ich sah einfach keinen Sinn in Lilys Interesse an der Daedalian Road: Es war eine verwahrloste Gegend, und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was Lily so sehr daran fasziniert hatte.
    Auch hinter die Bedeutung ihres anderen Besuchs hier, im Auto, kam ich nicht. Ich versuchte mir einzureden, sie hätte die Straße nur auf dem Weg anderswohin benutzt. Zu einer Kundin? Zumindest eine Spur, der ich in ihrem Terminkalender und ihrem Rechnungsbuch nachgehen könnte. Ein paar Minuten spielte ich mit diesem Gedanken, aber es brachte nichts. Mich trieb die Vorstellung um, daß die Kinder gesehen hatten, wie sie an genau derselben Stelle stehen geblieben war, an der sie später umgebracht wurde. Es war einfach ein zu großer Zufall, daß ich instinktiv an genau der gleichen Stelle angehalten hatte. Regelrecht beunruhigend sogar. Vielleicht hatte der Polizist mir gesagt, wo der Unfall passiert war, aber daran konnte ich mich schlicht nicht erinnern.
    Ich stand an der Kreuzung am Merrion Square, als ich meinem zweiten Geistesblitz nachgab. Ich machte kehrt, fuhr wieder Richtung Innenstadt zurück und bog bei der Ailesbury Road nach links ab, zum Polizeirevier in Donnybrook.
    Inspector Moran ging an mir vorbei, als ich auf die Klingel am Auskunftsschalter drückte. Zuerst erkannte ich ihn nicht, aber als ich mich nach ihm erkundigte, drehte er sich um. Er stutzte, als blättere er im Kopf seine Akten durch, kam dann zu mir zurück und streckte die Hand aus.
    »Miss … Miss, hm, Gilmore? Ist das richtig?«
    »Ja. Inspector Moran, ich wollte Sie fragen, ob ich etwas mit Ihnen besprechen könnte. Dauert nicht lange.«
    »Ist es etwas Offizielles?«
    »Nein. Nein, nur etwas, das mir ein wenig Sorgen macht. Eigentlich will ich nur mich selber beruhigen.« Oft merkt man erst beim Reden, welche Gedanken einem durch den Kopf gehen. Ich scheute vor den Tatsachen zurück, die auf mich einstürmten. Zu meiner Erleichterung schien Inspector Moran dies nicht zu bemerken.
    »Wenn das so aussieht, dann begleiten Sie mich doch zu Kiely’s. Um diese Tageszeit ist es ruhig, und ich könnte jetzt ein Guinness vertragen. Mein Büro ist der reinste Backofen. Kein Ventilator.« Er grinste und bugsierte mich zum Ausgang. »Eine schreckliche Hitze, finden Sie nicht? An so was sind wir hier einfach nicht gewöhnt, stimmt’s?«
    Er fragte mich, was ich gerne zu trinken hätte. Ich bestellte ein Mineralwasser. Zwar lechzte ich nach einem großen kalten Gin Tonic, aber ich wollte nicht von meinem Trinkkumpan wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet werden. Er bot mir eine Zigarette an; als ich ablehnte, zündete er sich selber eine an und inhalierte zufrieden, während ich versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen.
    Er war genauso schweigsam wie an dem Tag, als ich die Leiche meiner Mutter identifiziert hatte. Sein Alter zu schätzen fiel mir schwer, irgendwo um die fünfzig herum, vermutete ich. Er hatte wahrscheinlich einmal ziemlich gut ausgesehen, aber jetzt war sein Gesicht fleckig und leicht aufgedunsen. Blutunterlaufene, trübe braune Augen. Seine grauen Haare lichteten sich über der Stirn, was ihm ein recht liebenswürdiges, fragendes Aussehen verlieh. Seiner gelassenen Art zu widerstehen war schwer. Ich konnte mir vorstellen, daß er

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