Fallende Schatten
ist und mit mir geredet hat. Ausgerechnet sie, die uns sonst nie grüßt. Er hat uns eine Tüte mit zerbrochenen Keksen gegeben. Die waren prima. Für Jimmy habe ich sie in heißem Wasser eingeweicht. Viel hat er nicht essen können.
Ich bin wieder zu seinem Haus gegangen. Fast drei Jahre. Ich habe mir die Werkzeuge geholt. Wenn ich sie festhalte, hab ich das Gefühl, er ist näher bei mir. Aber ich weiß, das hat keinen Zweck. Ich weiß, er kommt nicht zurück. Aber er hat auf Wiedersehen gesagt, oder? Hat einfach genickt. Ich schwöre, ich hab gehört, wie er gesagt hat, heb sie auf, Lily, bis wir uns wiedersehen. Er wird wiederkommen. Ich weiß es. Er muß. Ich möchte ihm nur sagen, wie lieb ich ihn habe. Ich weiß, daß er mich auch lieb hat. Ich weiß es.
LCT461,1944. Am 6. Juni sind wir in der Normandie gelandet, um sieben Uhr morgens. Ehe wir los sind, haben sie uns Mut gemacht, von wegen, daß wir Geschichte machen. Fast einen Monat sind wir hier gewesen, ungefähr eine Meile vom Sword Beach entfernt, und haben Tanks hin- und herrangiert. Verdreckt sind wir, erschöpft. Der Lärm ist schrecklich. Körper. Öl. Schwarz. Ich rieche Angst. Ich habe gedacht, das sei nur so eine Redensart, aber es stimmt. Das Schreien der Männer, die halb tot sind vor Angst, das ist schrecklich. Manchmal träume ich von einem kühlen, sauberen Haus, wo es ganz still ist. Und Schlaf. Ich frage mich, wie lange wir das durchhalten. Wie lange das so weitergeht. Und was mache ich, wenn es zu Ende ist?
Eine von den Kleinen Schwestern ist zu uns gekommen. Es war nichts zu essen da. Mehr als einen halben Laib Brot hat Mrs. Heaney uns nicht geben können. Ich mache ihr deswegen keinen Vorwurf, sie ist schrecklich gut zu uns, aber sie hat selber nicht viel. Manchmal weiß ich nicht mehr, was ich tun soll. Ich kann Jimmy nicht allein lassen, um zum Nähen zu Rose hinaufzugehen. Die Nonne hat gesagt, daß Pfarrer Union sie gebeten hat, zu überlegen, ob sie etwas für uns tun kann. Sie war nett, hat überhaupt nicht fromm getan. Hat sich Jimmy auf die Knie gesetzt und ihm einen großen Löffel Hustensaft gegeben. Dann hat sie ein Zweipencestück in den Gasometer gesteckt und Wasser heiß gemacht und mir geholfen, ihn zu waschen.
Und zum Tee hat sie auch was mitgebracht. Jetzt kommt sie jeden Tag, sie sagt, wir müssen dafür sorgen, daß es Jimmy besser geht, damit ich etwas arbeiten kann. Sie will jemand fragen, den sie kennt. Ich habe Angst gehabt, daß sie Jimmy mitnimmt und nach Ariane oder sonst wo hinbringt, aber sie sagt, ich kümmer mich prima um ihn. Da hab ich mich gleich wie sonst was gefühlt, ehrlich. Mir ist aufgefallen, über der Druckerei hängt ein neues Schild. Ray town Press heißt sie jetzt. Die Leute sagen, ein paar von den Arbeitern leiten sie jetzt. Sie sieht schrecklich heruntergekommen aus.
Lange habe ich nichts mehr hier reingeschrieben. Mir war nicht danach zumute. Zuviel ist passiert. Zu viele Kämpfe, zu viele Tote. Manchmal glaube ich, wenn der Krieg vorbei ist, wird kein einziger junger Mann mehr übrig sein. Ich weiß nicht, wie viele ich sterben sehen habe. An Buller denke ich nicht mehr. Dieser alte Mistkerl hatte es verdient zu sterben, aber ich habe nicht vor, den Kopf für jemand hinzuhalten. Wenn ich aus der Sache hier lebend rauskomme, werde ich mein eigenes Leben leben. Nach Dublin gehe ich nicht zurück. Sobald ich kann, lasse ich Lily kommen. Ich möchte mich um sie kümmern und um das Kind, wenn es noch lebt. Ich hoffe, Lily zieht nicht um. Ich muß mich mit ihr in Verbindung setzen können. Ich wünschte, Mr. Handl würde noch leben.
Wir sind auf eine Mine aufgelaufen. In der Nähe von Antwerpen, in dem Fluß Scheide – nahe der Mündung, bei der von den Deutschen kontrollierten Insel Walcheren. Überall sind Minen, und die Verluste sind schrecklich. Die kanadischen Motorbarkassen waren aus Holz, deshalb haben sie Feuer gefangen, als sie getroffen wurden. Mein Gott. Der Gestank nach verbranntem Fleisch. Die Schreie. Ich bin an der Brust verletzt worden. Meine Nerven sind völlig im Eimer. Ich halte mich an meinen Plan. Halb verrückt bin ich vor Angst. Wenn ich keinen Dienst habe, lerne ich Französisch, Holländisch, Deutsch, alles mögliche, um mich zu beschäftigen. Ich habe auch gelernt, Funksprüche abzufangen, und manchmal kann ich sie übersetzen. Mir ist, als würde mein Kopf brennen. Lieber Gott, mach, daß Lily nicht verrät, daß sie mich kennt. Die kriegen sie
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