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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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entschied zwei Dinge auf einmal: dass ich meine Rolle weiterspielen würde, bis es Gewissheit gab, dass es wirklich der Berg gewesen war, der unseren Führer erschlagen hatte, und dass ich den Toni nicht ausziehen würde.
    Nein, dachte ich. Auf keinen Fall. Sonst erwartet sie als Nächstes noch, dass du ihn vom Arsch bis zum Kragen aufschneidest, seine Eingeweide hervorzerrst, seine Augen mit dem Teelöffel aus ihren Höhlen polkst.
    »Schluss mit diesem Unsinn«, sagte ich. »Wir lassen ihn angezogen.«
    »Wie weit diese Obduktion geht, ist einzig und allein meine Entscheidung«, fuhr sie mich an. Ich sah ihr in die Augen und ließ ein Schweigen entstehen, um ihr Zeit zum Nachdenken zu geben. Keine gute Idee, das. Die Leute denken doch nur in den seltensten Fällen so, wie man es sich wünscht.
    »Wieso«, fragte sie langsam und mit anwachsender Schärfe, »versuchen Sie eine weitergehende Untersuchung des Toten zu verhindern, Kristof?«
    Ajeh, dachte ich. Jetzt kommt diese Nummer. Die Gute hat eindeutig zu viel »Quincy« gekuckt. »Eines Toten«, fuhr sie anklagend fort, »der Sie des öfteren vor aller Augen gemaßregelt hat, worüber Sie jedes Mal in eine unverhohlene Wut ausgebrochen sind, so wie Sie ja auch aus Ihren Gefühlen mir gegenüber bisher keinen Hehl gemacht haben.«
    Und wenn du morgen früh mit eingeschlagenem Schädel aufwachst, dachte ich, haben wir genug zusammen für einen Haftbefehl gegen den guten alten Kryszinski.
    »Dieses Rumgehampel zerstört mehr Spuren, als dass es sie sichert«, teilte ich ihr mit. »Deshalb schlage ich vor, dass wir ihn so bald wie möglich ausfliegen lassen. Und uns auch. Diese Tour ist vorbei, ehe sie richtig begonnen hat.«
    »Zweierlei«, mischte sich Dr. Weifenheim ein, das runde Gesicht gerötet vom Frost oder aus Entrüstung. »Erst mal möchte ich gerne wissen, wer Sie mit in das Entscheidungsgremium berufen hat.« Das galt unschwer mir. Häftling maßt sich was an und gehört zurechtgestutzt. Wir tauschten einen Blick, und mir fiel auf, dass sich auch in seinem Vollmondschädel ein größerer Krater sehr gut machen würde. Als ob er Gedanken lesen könnte, sah er rasch wieder weg. »Und dann habe ich Ihnen allen eine Mitteilung zu machen.« Er blickte sich kurz und wichtig um, stellte sicher, dass auch alle ganz Ohr waren. »Dieses Unternehmen ist hier und jetzt keineswegs zu Ende. Im Gegenteil. Wir befinden uns mitten in einem wissenschaftlichen Experiment. Das Auftauchen von Schwierigkeiten und ihre Bewältigung sind fest eingeplanter Bestandteil der Versuchsanordnung.«
    Ich mag Forscher, Wissenschaftler. Sie besitzen wie kaum eine zweite Berufsgruppe diese Gabe echten Mitgefühls. Ein Mensch ist tot, lange vor seiner Zeit tragisch ums Leben gekommen, für seine Familie und alle, die ihn liebten, wird eine Welt zusammenbrechen, und für unseren Psychologen reduziert sich das Geschehen auf einen der Zufälle, mit denen bei der Planung des Versuchs zu rechnen gewesen war. Als ob wir Laborratten wären.
    »Meine Theorie ist, dass ein Proband, der völlig unerwartete Herausforderungen, Gefahren, körperliche und, ja, auch seelische Belastungen als solche annimmt und in der Folge meistert, sich auch den Problemen des alltäglichen Lebens in Freiheit mit ähnlicher Festigkeit stellen wird.«
    Wunderbar, applaudierte ich innerlich. Der Totschläger und der Kinderficker reißen sich eine ganze Woche lang einigermaßen am Riemen, anschließend lassen sie sie so bald wie möglich wieder auf die Menschheit los und warten gespannt ab, ob sie unsere Theorie mit Wohlverhalten bestätigen. Oder rückfällig ...
    Nein, das ist unpräzise formuliert.
    Oder sich wieder erwischen lassen. Genau. Denn anders lässt sich Rückfälligkeit ja nicht überprüfen. Wissenschaftler .
    »Und deshalb schlage ich vor, dass die Küchencrew jetzt das Frühstück bereitstellt, während Frau Dr. Marx und ich das weitere Vorgehen beraten.«
    Richtig, dachte ich. Einer ist ausgeschieden, jetzt beobachten wir, ob der Rest der Gruppe mit den entsprechend größeren Rationen besser gedeiht.
    Dann erst ging mir die wahre Bedeutung seiner Worte auf.
    Es ging weiter, nur ohne den einzigen Fachmann. Und ich war mit dabei.
    »Kristof«, fragte Horst leise, und ich machte »Hmm-m?«, für einen Moment halb weggenickt in meinem Schlafsack. Das glorreiche Experiment bewegte sich keinen Meter weiter, solange die Gegend von blankem Eis überzogen war.
    »Sag mir nur eins«, flüsterte er, nahe an meinem

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