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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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das Handy wirklich von deiner Mutter?«
    Ich sah ihn lange und gerade an. Er wich meinem Blick aus, doch nur ein bisschen. Drückte seinen Stopfer in den Kopf der Pfeife, produzierte etwas blauen Qualm, wartete geduldig.
    Ich fragte mich, was er mir im Zusammenhang mit dem Telefon unterstellen wollte. Spitzel zu sein? Oder abhauen, meine Flucht vorbereiten zu wollen?
    Ich sagte: »Irgendetwas musste ich denen schließlich erzählen.«
    Er nickte verstehend.
    »Und jetzt kannst du zurückhecheln und ihnen meine Antwort zustecken«, sagte ich und drehte mich von ihm weg, um den Reißverschluss des Zelteingangs aufzuziehen. Geht doch nichts über eine schöne Retourkutsche.
    Der Tag blieb diesig und eisig, und gegen Mittag trommelte uns die Reiseleitung aus den Zelten und gab bekannt, es würde sich heute nicht weiterbewegt, sondern feste auf besseres Wetter am nächsten Tag gehofft.
    Anschließend nahm ich Dr. Weifenheim ein paar Schritte beiseite. Das gefiel ihm gar nicht. Misstrauisch beäugte er mich, als erwarte er einen Raubüberfall oder aber einen erotischen Antrag.
    »Wollen Sie wirklich versuchen, mit diesen Leuten« - ich wies um mich, auf die rauchende Gruppe der Kriminellen, zum Häuflein der Verlorenen, die alle fröstelnd saßen oder standen, wacklig auf dem eisüberzogenen Geröll - »und ohne jede professionelle Führung diesen« - ich deutete vage in den Dunst über meiner Schulter - »Berg zu besteigen?« Ich sagte das im gleichen, vorsichtig zweifelnden Tonfall, in dem man >Sind Sie sicher, dass Sie in einer geschlossenen Anstalt nicht besser aufgehoben wären?< fragen würde. Ich hatte mir ernsthaft überlegt, auf eigene Faust meinen Abschied zu nehmen, und wäre wohl auch schon unterwegs gewesen, wenn da nicht die hohe Wahrscheinlichkeit bestanden hätte, dass mein Abstieg ebenso rasant ausfallen dürfte wie sein Ende abrupt.
    Dr. Weifenheim seufzte. Genervt. »Die ganze Idee«, sagte er, laut, damit alle etwas davon hatten, »war, eine Ausnahmesituation zu schaffen. Das ist jedem einzelnen Teilnehmer vor Beginn klargemacht worden. Und diese Ausnahmesituation besteht jetzt. Straftätern bietet sie die Chance, sich zu bewähren, Behinderte werden aus dieser Erfahrung neuen Lebensmut schöpfen können. Für die meisten ist das hier die Gelegenheit ihres Lebens.«
    Hmm, dachte ich. Die Gelegenheit, den eigenen Namen auf viel beachtete Publikationen zu kriegen und das Mondgesicht auf den Fernsehbildschirm.
    »Und Sie«, wandte er sich wieder an mich, »wollen sich bei erster Gelegenheit mit dem Hubschrauber nach Hause fliegen lassen.« Kopfschüttelnd nagte der Psychologe an einem Daumennagel herum. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie abgebissen seine Fingernägel waren. Und wie unruhig sein Blick. Wie unsicher. Hin und her zuckend.
    Reptilienaugen. Krötenaugen. Ein Moment hier, dann da. Und diese Zunge . Klein, spitz, ekelhaft rosa . Klebrig. Geschaffen zum Einfangen von Käfern, Raupen, anderen Krabbeltieren .
    »Das können Sie sich aus dem Kopf schlagen. Nichts dergleichen wird hier passieren, nichts, nichts, nichts.«
    Einer der Gründe, warum ich nie zum Militär wollte, war der, dass da andere Leute alle Entscheidungen für einen treffen. Leute wie er hier. Die selber nicht genau wissen, was sie machen sollen, dann aber hingehen und irgendeinen Schwachsinn durchpeitschen, weil sie ihren Vorgesetzten damit zu imponieren hoffen oder einfach nur weil sie befürchten, den Mahnern aus den unteren Rängen nachzugeben könnte ihre Autorität untergraben.
    Und hier bist du nun, Kristof. Glückwunsch. Selber deiner Wahrnehmung nicht immer ganz sicher, auf unbekanntem, nicht ungefährlichem Terrain, unter dem Kommando eines zittrigen Weicheis und einer hysterischen Hypochon- äh -derin, auf dem Weg in, wenn's geht, noch größere Höhen.
    »Wir haben bereits einen Toten«, erinnerte ich ihn und nickte in Richtung des Toni, den wir in seinen Schlafsack gepackt und in eine Plane eingerollt hatten. »Wollen Sie riskieren, dass noch mehr umkommen?«
    »Wann fangen Sie an zu begreifen, dass das Eingehen von Risiken Teil des Experimentes ist?!«, schrie er mich an.
    Riesig, der Mund. Rosa wie die Zunge und voller Schleim. Gelb das Zwölfenbein darin. Man mochte nicht hinsehen.
    »Es sollte von vornherein eine Grenzerfahrung werden, für alle Beteiligten!« Und seine Augen schnellten von links nach rechts und wieder zurück.
    Nun, für mich ist es das bereits, resümierte ich. War es, von Anfang an. Eine

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