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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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sind Freunde da. Horst hatte verdammt Recht, er meinte es im Grunde gut mit mir, und ich sollte ihm dankbar dafür sein.
    »Arschloch«, knurrte ich.
    »Kristof, was ist mit dir?«, fragte Horst, huckepack auf meinem Kreuz, und leuchtete uns mit der Taschenlampe, während ich über das rutschende Geröll zum Klo stolperte. »Du bist so anders. Du hattest immer schon diese kurze Lunte und dazu dann den wilden Blick, aber mittlerweile hast du den ständig, und wenn du jetzt hochgehst, so wie vorhin, so wie andauernd, wegen jedem Scheiß, dann ist er zum Fürchten, glaub mir. Was ist mit dir passiert in den paar Jahren, die wir uns nicht gesehen haben?«
    »Sprech ich nicht gern drüber, Horst.«
    »Ja, glaub ich. Aber wir sind Kumpels. Kumpels reden miteinander.«
    Vorsichtig ließ ich ihn auf die Plastikschüssel hinab.
    »Also, ich hatte diesen Unfall«, begann ich, »mit dem Motorrad«, und brach ab. Mehr wollte irgendwie nicht heraus.
    »Ja, kommt mir bekannt vor, dieser Satz.« Er seufzte.
    »Und weiter?«
    »Bei mir war es kein Unfall«, kam es vom zweiten Klo, gefolgt vom Zuschlagen eines Deckels und dem kurzen Rrrrrrt eines Reißverschlusses, »sondern ein Verbrechen.«
    Christine schlug die Zeltbahn zurück und blinzelte in das Licht meiner Taschenlampe, ihr gutes, nicht zerlaufenes Auge klar und ruhig auf mich gerichtet. »Ich bin von zwei Typen viehisch vergewaltigt worden, die, nachdem sie fertig waren, versucht haben, mich mit einem Pflasterstein zu erschlagen.« Die Macke in ihrer Stirn wirkte noch tiefer als sonst, wie die hohlen Wangen dramatisch verschattet vom aufwärts gerichteten Schein der Lampe.
    Sie war eine harte Frau mit einer harten Vergangenheit, und ich brauchte nicht ihre Ärmel hochzuschieben, um zumindest einen Teil davon in Erfahrung zu bringen. Was überraschte, war die plötzliche Klarheit ihres Ausdrucks.
    Ich stammelte etwas Entsprechendes, gekoppelt an die Frage, warum sie nicht schon eher - »Ha!«, spie sie mich an, wieder genauso wild wie wirre.
    »Das glaubt ihr wohl! Dann träumt mal schön weiter! Niemals, und da könnt ihr jeden fragen, niemals! Wär ja noch schöner!« Und mit einem letzten, triumphierenden >Ha!< entfernte sie sich.
    Als Städter kann man sich die Schwärze einer wolkenverhangenen Nacht in der Wildnis nicht vorstellen. Ich lag auf dem Rücken, Augen aufgerissen, meine Rechte mit gespreizten Fingern nah genug vor meiner Nase, dass ich sie riechen konnte (was alles bedeuten konnte, von ganz knapp davor bis voll ausgestreckt. Das Hygienebedürfnis sinkt auf einer Tour wie dieser im Einklang mit den Temperaturen), doch ihre Konturen waren nicht auszumachen in der Vollkommenheit des Dunkels.
    Was sich allerdings nicht einstellen wollte, war Vollkommenheit der Stille. Horst zuckte und japste im Schlaf wie ein Hund, Alfred schnarchte sachte und gleichmäßig. Er war einer von Gottes natürlichen Schläfern, wusste Phasen von Untätigkeit auszuschlummern wie ein, tja, wie ein Hund. Auch er. Mein Rudel und ich.
    Rhythmisches Zischen drang aus dem Kopfteil von Egons Schlaf sack direkt neben mir.
    »Und, was hörst du heute?«, fragte ich. Gleichmäßig anschwellend näherte sich das in Intervalle zerhackte Zischen durch das Dunkel, bis ich mir einen der beiden kleinen Lautsprecher ans Ohr halten konnte. Ein bekannter, vom Aussehen her einem gealterten Charly Brown nicht unähnlicher Musiker brachte Laute hervor wie durch einen Gartenschlauch gesungen, auf den einer seinen Fuß gestellt hat. >Wo-homit hab ich das verdient<, fragte er, gequetscht und anklagend, und erinnerte mich damit flüchtig an jemanden aus unserem Tross, >dass der mich so blöde angrient?<, reimte der Künstler auf seine unverwechselbare Art.
    »Kennschu das?«
    »Klar doch«, sagte ich und reichte die Kopfhörer rasch zurück. >»Problemgenöle für Wohngemeinschafts-Veteranen<, nenne ich das immer gerne.«
    Egon brummte eine freundliche Zustimmung, die wohl nur durch Unverständnis meiner Worte zu erklären war.
    »Wenn ich es gut mit ihm meine«, fügte ich hinzu und brach ein Stück Schokolade ab, das ich Egon rüberreichte.
    »Ich 'ab no' mehr Tschedeeschs«, vertraute er mir an und schmatzte auf seiner Schokolade herum, dass einen der Neid packen konnte über so viel Genussfähigkeit.
    »Toll«, sagte ich. »Bin schon sehr gespannt.«
    Ein starkes Schlafmittel dreht einem den Saft ab, ob man will oder nicht. Der Unterschied zu normalem, durch Müdigkeit und Gewohnheit herbeigeführtem

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