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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Einschlafen und dem unter Rohypnol ist ähnlich dem, ob man beim Schwimmen den Kopf eintaucht oder ihn unter Wasser gedrückt kriegt.
    Zähes Denken setzt ein, gefolgt von körperlicher Schwere.
    Egon war über seinem zischelnden Discman eingepennt, und es kostete mich erhebliche Anstrengung, rüberzutasten und das Ding auszumachen.
    Dann geht normalerweise alles sehr schnell. Das Zeug dimmt einen ab wie eine Lampe, fährt Bild und Ton herunter, und was dann kommt, ist bleierner, durch kaum etwas zu unterbrechender, traumloser, erzwungener Schlaf. Normalerweise. Wenn man wie ich über viele Monate immer mal wieder mit verschiedenen Schlafmitteln in hohen Dosen experimentiert, kennt man die Wirkung und ist nicht mehr so leicht abzudimmen.
    Nun, die Rohypnol waren verschwunden, und trotzdem, mir war .
    Für gewöhnlich lag ich in den letzten Monaten, wenn ich mal lag, mit geschlossenen Augen da, tat so, als ob ich schliefe, während die Gedanken vorbeirasten wie die hell erleuchteten Fenster eines fahrenden Zuges.
    Heute war da kein Tempo drin, in meinem Denken, sondern der schleppende Gang fortgeschrittener sedativer Medikation.
    >Du kommst nicht mehr runter<, hatte Scuzzi zu mir gesagt. Doch er sprach von Speed. Gaaanz andere Abteilung .
    Ich konnte meinen Atem in die Luft steigen sehen, Eiskristalle an dem Kunststoffgewebe des Innenzeltes. Das hieß, der Morgen war angebrochen, Licht stahl sich zurück in die Welt. Ich fühlte mich groggy, verkatert, angezählt, also wie immer, wie jeden Morgen. Gerne wäre ich zurück in den Dämmerzustand gedriftet, in dem ich die Nacht verbracht hatte, doch meine Blase drohte mir, und dieses Organ lässt ja prinzipiell nicht mit sich reden.
    Nur in Wollpullover, langer Unterhose und den nicht zugeschnürten, nur übergestreiften Bergstiefeln krabbelte ich ins Freie, bibberte im eisigen Wind und nahm wie selbstverständlich Kurs auf die Felswand, als ein Ruck durch mich ging. Genau so - Pullover, Longjohn, auch noch exakt dasselbe Paar Schuhe an den Füßen - hatte es gestern erst den Toni an eben dieser Stelle erwischt. Abrupt machte ich kehrt, stolperte, die Klüsen noch verklebt und schwiemelig, in die andere Richtung, bis nah an die Kante, wo das Geröll anfing, sich zu steil zu neigen für gefahrlose Fortbewegung auf nur zwei Beinen, drehte dem Wind den Rücken zu und fummelte ihn heraus. Und ärgerte mich über mich selbst. Sinnloses Herumgestolper bei eisigen Temperaturen wegen nichts als einer milden Abneigung gegen Chemietoiletten, das war einfach dämlich. Niedriger Blutdruck, schwacher Kreislauf diagnostizierte ich und schwankte, kämpfte mit beginnender Schwärze vor den Augen. Alles wegen . Als ein Stöhnen an mein Ohr drang. Und zwar nicht von irgendwo aus den Zelten hinter, sondern von irgendwo aus der Gegend vor beziehungsweise unter mir.
    Noch war das Licht extrem schwach, alle Farben eine Schattierung von Grau, und was immer die zu Schlitzen verschwollenen Augen wahrnahmen, wirkte grobkörnig wie ein aus nächster Nähe betrachtetes Werbeplakat. Außer mir konnte eigentlich noch kein Mensch auf den Beinen sein. Ich musste mich verhört haben, sagte ich mir, als sich das Stöhnen wiederholte. Vor mir, unter mir. Da, ungefähr, wo meine Pisse hinlief. Verstört machte ich einen Schritt beiseite und drehte mich auch etwas. An ein Aufhören ist ja nicht zu denken, hat man das Fass einmal angestochen.
    Nichts mehr, kein Mucks, bis ich den letzten Tropfen herausgepresst hatte. Dann stöhnte es ein drittes Mal. Kein Vertun.
    Letzte Überlebende der Armee der Verdammten ringen mit dem nahen Tode, bevor sie für ein weiteres Jahr still vor sich hin schimmeln.
    Da war die reelle Chance, dass die Geräusche einzig und allein in meinem Kopf existierten, und mit Sicherheit war ich drauf und dran, mich ernsthaft zu verkühlen, aber trotzdem ging ich auf alle viere runter und kraxelte rückwärts den bröckeligen Hang hinab, und sei es nur, um mich zu vergewissern.
    Sie lag auf dem Rücken, nur in ihrer langen Unterwäsche, auf dem nackten, eisüberzogenen Fels im kalten Wind. Ihr Gesicht war weiß wie das einer Toten, ihre Lippen waren blau wie ein Paar Krampfadern, ihre Lider flatterten. Tropfen gefrorenen Speichels hingen im Haar unterhalb ihres Mundes, aus dem sich ein Stöhnen wand.
    Wie kam sie hier hin? Hundert Meter von ihrem Zelt weg, mindestens.
    Wie lange mochte sie schon da liegen? Ihre Hand fühlte sich an wie etwas, das einem in Plastik verpackt über die

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