Fallkraut
â¦Â« â ich suche nach einem Wort, das nicht schmutzig klingt. Auf meiner Netzhaut erscheint das Bild des fremden Mannes, der mit seiner Beefsteaknase zwischen meinen Brüsten steckt und seine Lippen an meinen festsaugt.
Ich nehme die Tüte mit den Zuckergusskeksen.
»Für dich ist es ganz anders«, sage ich und lecke an Âeinem rosa glasierten Keks. »Du hast immer einen Mann im Haus. Aber ich, seit Karel tot ist, muss ich alles selbst machen. Nicht nur eine neue Birne reindrehen, sondern alles, und wenn Otto Geburtstag hat, kann ich mich nie mit jemandem beraten, was für ein Geschenk ich für ihn kaufen soll. Das ist das Schlimmste. Dass man allein in so einem Laden steht und mit niemandem besprechen kann, ob es ein Aftershave sein soll oder ein schöner Füllfederhalter.«
»Das schenkst du doch jedes Jahr?«, sagt Sigrid. »Otto erstickt ja in den ganzen Füllern und Aftershaves.«
»Das meine ich.«
Sigrid seufzt: »Du fandest es einen Segen, dass Karel den Löffel abgegeben hat.«
»Ich weià nicht, wovon du sprichst«, erwidere ich und versuche, meine Stimme unter Kontrolle zu bekommen. »Du kannst über viele Dinge mitreden, aber darüber nicht. Du bist nie allein.«
»Hör doch auf«, sagt Sigrid. »Nein, ich bin nie allein. Ã-ber-haupt nie.«
Am Rhein
3 Sigrid
Der Zug rattert in den Bahnhof von Duisburg ein und kommt mit quietschenden Bremsen zum Stehen. Wie von Zauberhand tauchen Menschen auf der anderen Seite meines Fensters auf. Sie wimmeln umher mit Koffern, Taschen, Rucksäcken und Kindern. Sie schreien einander Worte zu, die ich nicht verstehe. Alle ziehen, winken, zeigen, rufen, küssen, vier Hände an den Henkeln einer Tasche, und wenn es nur zwei Hände sind, so scheinen sie doch durch unsichtbare Saiten mit denen eines anderen verbunden zu sein.
Ich nicht. Kein Draht verbindet mich mit einem anderen.
Ich kann mit Valentine reden, meine Lippen öffnen, aus Silben Wörter bilden und von meiner Zunge abstoÃen in Richtung Tine. Bitte sehr. Ich kann fragen, ob wir nicht Passagieren in den Zug helfen sollten. Ich kann sagen: Wo ist der Schaffner mit den schönen Augen von vorhin, hast du den denn nicht im Blick behalten?
Quatsch. Wer legt schon Wert darauf, dass ich meinen Mund aufreiÃe?
Sjors sitzt lieber über seine Landkarten gebeugt oder hantiert im Schuppen mit Schrauben und Muttern herum.
Die Kollegen im Orchester lachen. Hahaha, sie ist unten durch, die van Raffelsberger, dieser alte Handfeger mit Müllschippe, nur noch dazu brauchbar, die Abblätterungen ihres verfallenden Körpers aufzukehren.
Ohne Schwung.
Falls Talent da war, dann ist es jetzt finito.
Timo darf es versuchen. Ja, ja, Krüske weiÃ, dass Timo noch wenig Bühnenerfahrung hat. Aber das macht gar nichts. So kann es schlieÃlich nicht weitergehen. Brahms, so schmalzig gespielt. Dabei muss man Brahms gerade transparent, glasklar machen. Das ist der Zeitgeist, so will das Publikum es hören.
Ein Pfiff ertönt. Das Gewimmel vor dem Fenster löst sich auf.
Mit einem Ruck setzt der Zug sich wieder in Bewegung. Langsam gleitet der Bahnsteig weg. Eine junge Frau mit einem Kopftuch winkt, und ich winke unwillkürlich zurück. Tschüss, hässliches Kopftuch, mach dich nur wichtig um nichts, auf Nimmerwiedersehen. Alle Signale stehen auf Grün, auÃer die für die Autos, die in einer langen Reihe vor dem Bahnübergang warten.
Komisch, diese Kleinigkeiten.
Ein Glas scharlachrote Erdbeermarmelade, das auf den Küchenboden knallte. Als ob eine Bombe einschlagen würde. Das Glas zerplatzte, die Marmelade spritzte auf meine pantoffelten FüÃe, auf die Fliesen, bis unter den Kühlschrank.
Die billige Spar-Marmelade interessierte mich nicht, aber dass sofort Putzen angesagt war, hatte zur Folge, dass ich nicht gerade in Feierlaune beim Frühstück saÃ, an jenem siebzehnten Juni, den ich mir im Kalender schwarz angestrichen habe.
Sjors, der Ãberalleinmischer. Hatte zum zigsten Mal meinen Fahrradsattel höher gestellt, ohne dass ich ihn darum gebeten hatte. Ich kam nicht mal mehr mit den FüÃen auf die Erde, als ich versuchte zu bremsen. Ich schlingerte unter dem Tor hindurch und hätte beinahe ein Mädchen auf einem Roller umgefahren.
Ja, der Tag fing schon gut an.
Dann war Pause, und ich rannte ohne Jacke aus dem Theater, die Treppen hinunter. Ich sprang
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