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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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Schmerz!«
    Valentine bleibt stehen, die Hand in die Seite gestützt. »Hatte ich dir diese traurige Geschichte schon erzählt?«
    Â»Nein«, antworte ich.
    Â»Frau Wortelboer knallt mit dem Kopf aufs Armaturenbrett. Ihr Mann fährt mit Vollgas ins Krankenhaus. Sie hat noch zwei Tage an der Beatmung gehangen. Dann ist sie zu unserem Herrgott gegangen.«
    Valentine holt eine Rolle Pfefferminz hervor. »Hatte ich dir das schon erzählt, von Frau Wortelboer?«, fragt sie noch einmal. »Sie war erst zweiundfünfzig. Nächsten Winter wäre sie Oma geworden. Sie hat sich so auf das Kleine gefreut.« Valentine zuckt mit den Schultern. »So schnell kann’s gehen, was, peng, und weg bist du.«
    Sie hält mir die Rolle unter die Nase.
    Â»Ã–ffnet die Luftröhre.«
    Â»Lass das.« Ich schiebe Valentines Hand beiseite. »Meine Luftröhre ist sperrangelweit offen. Wir gehen gleich essen. Was faselt du da? Was interessiert mich diese Frau Wortelboer? Ich kenne diese Person nicht mal.«
    Ich schreite rasch aus. Wir biegen um die Ecke in die Rosengasse. Hier ist es ziemlich zugig. In der Ferne sehe ich das Wasser des Rheins glänzen. Dieser Rien Waas ist ein hässlicher Mann. Alles, was ein Mann mehr hat als ein Affe, ist eine nette Zugabe, denke ich manchmal. Aber sobald dieser Rien über Musik redet, ändert sich etwas. Dann bekommen seine Augen die Farbe von Nebel.
    Ich höre Valentines Schuhe hinter mir auf das Pflaster klatschen wie Badelatschen auf einem nassen Schwimmbadboden.
    Â»Waaas?«, keucht Valentine. Sie trabt hinter mir her.
    Â»Ich habe nichts gesagt«, antworte ich und mäßige meinen Schritt, bis Valentine neben mir läuft. »Oder doch – ich könnte mich grün und blau ärgern.«
    Â»Ãœber Frau Wortelboer, meinst du?«
    Â»Nein, über dich.« Ich atme erregt, als ob meine Lunge sich nicht mit Sauerstoff füllen könnte, als ob etwas in meinem Magen sitzen würde, das sie einengt. »Zwei Fremden. Was geht es diese Leute an, was ich mache? Warum hältst du nicht einfach den Mund, wenn ich dich darum bitte?«
    Â»Oh, du meinst Helma und Rien?« Valentine schaut auf das holprige Katzenkopfpflaster unter ihren Füßen. Ein Tropfen hängt an ihrer Nase.
    Â»Wisch dir die Nase ab.«
    Valentine schnäuzt sich, faltet das Taschentuch zusammen und steckt es wieder ein. »Was kriegen wir nachher noch mal zu essen?«, fragt sie.
    Ich gebe Valentine einen Schubs. »Ich habe dir gesagt, schon so oft, und auch auf der Terrasse: Ich will es nicht! Du sollst nicht mit mir angeben. Die Leute brauchen nicht die ganze Zeit zu wissen, was ich tue. Ich habe Urlaub.«
    Â»Ich verstehe nicht, worüber du dich aufregst«, murmelt Valentine. »Geigespielen ist das, was du am liebsten machst.« Sie lacht. »Es ist doch etwas, worauf du sehr stolz sein kannst.«
    Â»Stolz, in der Tat. Aber du redest nur darüber, weil«, ich suche nach Worten, »nicht weil du nett sein willst, sondern weil du denkst, dass so der Glanz auf dich ausstrahlt.«
    Ich spüre, wie der Druck hinter meinen Augen steigt, die Umrisse der Fachwerkhäuser verschwimmen, Joghurt, der über den Rand eines Suppentellers fließt, nur anders. »Ich bin nicht dein Trostpflaster.« Meine Nase fängt an zu kribbeln. Verdammt, ich bin keine Heulsuse, die auf der Straße rumflennt. Ich bin die van Raffelsberger. Ich habe vom Beginn meiner Yoga-Übungen am Morgen bis zum letzten Bleistiftstrich, den ich am Abend in meine Partitur setze, alles unter Kontrolle.
    Valentine steckt sich noch zwei Pfefferminzbonbons in den Mund. Sie schaut mich an, als würde sie etwas Komisches sehen, etwas Ekliges, das in meinem Haar hängt oder über meine Wange kriecht.
    Unwillkürlich taste ich, Gesicht, Nase, Wangen, Haar, alles ist prima de luxe.
    Â»So ein Quatsch«, sagt Valentine. »Kein Mensch inter­essiert sich doch wirklich dafür, was du tust? Falls du dir das einbilden solltest.« Sie saugt ihre Wangen ein und lässt sie mit einem Schnalzer wieder los. »Die Menschen interessieren sich nur für ihr eigenes Hab und Gut. Nicht für das eines anderen.«
    Valentines Augen haben die Farbe von Steinkohle. Als ob alle schwarzen Teilchen in ihrem Herzen in ihre ­Augen geschwommen wären.
    Â»Eine Plauderei bei einem Bierchen, einfach ein paar Worte über den Tisch hin- und

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