Fallkraut
quatschen die ganze Zeit.«
»Für mich auch einen Wein«, sagt Rien.
»Für mich nicht mehr. Ich gehe ins Hotel zurück«, sagt Sigrid. Sie nimmt ihre Handtasche und macht Anstalten aufzustehen.
»Komm schon, tu nicht so ungemütlich.« Ich ziehe an Sigrids Ãrmel. »Du verwaltest die Haushaltskasse.«
»Ich verwalte überhaupt nichts.«
»Alle fühlen sich wohl. Entspann dich.«
Ich ergreife Sigrids Hand. »Was machen Sie beruflich?«, frage ich Rien lächelnd.
»Ich bin im Inkassobereich tätig.«
»Inkasso. Aha.«
Wieder entsteht eine Pause. Sigrid dreht am Fuà ihres leeren Weinglases. Rien schaut vor sich hin.
»Ist das eine schöne Arbeit?«, versuche ich.
»Nein, wirklich nicht!«, sagt Helma. »Langweilig! Man wächst an seinem Schreibtischstuhl fest.«
»Meine Frau hat recht«, sagt Rien. »Beim Inkasso gibtâs nicht viel zu erleben.« Er entblöÃt seine Zähne. »Ich mache vor allem Büroarbeit. Früher bin ich losgezogen. Bei den Schuldnern vorbeigegangen.«
»Ich bin nie in den roten Zahlen«, sage ich.
»Du lügst wie gedruckt«, murmelt Sigrid.
»In der Anfangszeit waren das Bauern, die sich nicht über Wasser halten konnten«, sagte Rien. »Danach kriegte ich die Leute, die sich in Schulden gestürzt hatten, um sich teure Sachen zu kaufen, und ihre Hypothek oder Miete nicht mehr bezahlen konnten. Farbfernseher, Stereoanlagen, Whirlpools und so. Mit manchen habe ich versucht zu reden. Aber die meisten â¦Â« Rien beendet seinen Satz nicht. »Es ist überhaupt nicht interessant, was ich erzähle.« Er schaut Sigrid an. »Ihre Arbeit in der Musik ist so viel interessanter. Sie sind Musikerin.«
Der Mann spricht die Worte aus, als wären ihm Kartoffeln im Halse stecken geblieben. Sigrid redet dummes Zeug. Ich habe nie Schulden gehabt, mit wie wenig ich auch auskommen musste. Ich kann aus nichts im Schrank etwas zaubern.
Ich setze mich gerade hin. »Ich auch. Ich war auch Musikerin. Ich weià alles darüber.«
»Das sagtest du bereits«, wirft Sigrid ein.
»Das ist nichts, um damit anzugeben«, fahre ich fort. »Musik zu machen ist ein Beruf wie jeder andere. Und es wird auf die Dauer auch zum Trott. Was meinen Sie, was es bedeutet, zum achtzigsten Mal den Nussknacker oder Schwanensee zu spielen?« Ich stoÃe Sigrid an. »Warum sagst du nichts? Von achtzig, ach, was sage ich, hundertÂachtzig Mal Schwanensee tun einem die Arme genauso weh, wie wenn man Teppiche klopft.«
»Was gefällt Ihnen besser?« Sigrid ignoriert mich und blickt Rien an. »Die Arbeit im Büro oder im AuÃendienst?«
»Gefallen?«, prustet Helma. »Rien ist froh, wenn er die Tür hinter sich zuziehen und in Rente gehen kann.« Sie tätschelt Rien das Knie. »Das dauert, Gott sei Dank, nicht mehr so lange, was, Alterchen?«
»Ich habe nicht wirklich die Wahl, ob AuÃendienst oder Büro«, murmelt Rien.
»Wenn er nur nicht denkt, dass ich jeden Tag einen Ausflug mit ihm mache nach seiner Pensionierung«, sagt Helma und stöÃt mich an. »Ich werde meine Freundinnen nicht ausrangieren.«
»Freundinnen? O nein, natürlich nicht«, sage ich.
»Man muss sich vor dem schwarzen Loch hüten«, fährt Helma fort. »Freundinnen von mir haben Männer, die alle trübsinnig zu Hause hocken und Däumchen drehen.«
Ich nicke. »Ja, da kann man schon trübsinnig werden.«
»Worin sind Sie denn gut?«, fragt Sigrid Rien.
»Ehrlich gesagt â¦Â«, murmelt Rien.
»Red lauter, Schatz«, sagt Helma. »Sonst verstehen die Leute dich nicht.«
»Ich bin nicht so gut in meiner Arbeit. Wenn eine Zwangsräumung vor der Tür stand, konnte ich schon Tage vorher nicht schlafen. Ich weià nicht, warum, meine Kollegen haben jedes Portemonnaie aufgekriegt. Aber auf mich hat man die Hunde gehetzt, oder Schlimmeres. Deshalb endeten bei mir letztlich alle auf der StraÃe, und das Büro kam in den Ruf, knallhart zu sein. âºScheiÃmofâ¹ haben sie mich genannt.«
»Oje, âºScheiÃmofâ¹.« Ich beiÃe mir auf die Lippe. Wenn Sigrid ein Privatgespräch mit diesem Rien führen möchte, dann soll sie nur machen.
»Aber ist das nicht genau das, was Inkassobüros wollen?« Sigrid rückt ihren Stuhl ein Stück vom Tisch ab, so dass sie
Weitere Kostenlose Bücher