Fallkraut
du, wie viele Stunden ich durch das Jahr hindurch übe?« Ich spüre, dass der Druck in meinem Magen wieder zunimmt. »Ist dir das klar, während du mit deinem Staublappen durchs Haus läufst? Zweimal drei Stunden Probe am Tag, vier Auftritte in der Woche, und zu Hause übe ich seit kurzem auch noch etwa anderthalb Stunden am Tag. Denn ja, ich werde älter, und ohne Ãben schaffe ich es nicht neben all den Jüngeren.«
»Sag bloë, antwortet Valentine. »So viel? Also kaum Zeit zum Kochen oder um mal gründlich sauber zu machen.«
»Ich koche jeden Tag.«
»Sonntagabends rollst du Frikadellen für sechs Tage.«
»Das ist Sjorsâ Lieblingsgericht.«
»Du schälst für eine Woche Kartoffeln.«
»Weil ich in der Woche keine Zeit habe.«
»Frikadellen mit Erbsen aus der Dose. Frikadellen mit Sauerkraut. Frikadellen mit Rotkohl aus dem Glas, Frikadellen mit Salat. Essen, von dem man Blähungen kriegt. Nur sonntags nicht. Da holt ihr euch was beim Chinesen.«
Töpfe marschieren vor meinen Augen auf und ab: die teuren BK Töpfe, der Schnellkochtopf auf dem Herd, die Pfannen der GröÃe nach geordnet an ihren Haken an der Wand. Das mache nicht ich, das macht Sjors. Ich habe lieber meine verschlissene Schürze, die an der ÂTürÂklinke hängt. Ich liebe die Lüftung, die immer klappert, während ich die Frikadellen und das Gemüse aufwärme.
Ich rufe durch den Flur: Essen! Ich tue auf, hörst du! Und Sjors kommt. Er löffelt, ohne ein Wort zu sagen, alles in sich hinein. Wenn sein Teller leer gekratzt ist, steht er auf, holt den Pudding aus dem Kühlschrank und füllt seinen Teller wieder. Und manchmal ist für den Chic noch ein Klecks Braun dabei.
»Ich vernachlässige meine Haushaltspflichten nicht!«, sage ich verärgert. »Was glaubst du, wie das Essen bei uns auf den Tisch kommt? Hast du Sjors schon mal am Herd stehen sehen?«
»Die i-Tüpfelchen«, sagt Valentine, »darum geht es. Und zu diesen Tüpfelchen kommst du nicht. Räumst du je Zeit ein, um Sjors zu verwöhnen, um das Haus gemütlich zu machen, ein warmes Nest zu bauen?«
Ein Mann mit einem Handwagen voller Zuckerrüben läuft vorüber. Die Achse des Wagens ist gebrochen und ein Reifen ist platt. Der Mann brummt etwas im Vorbeigehen. Eine Rübe hüpft über den Rand und landet vor meinen FüÃen. Ich versuche, das Ding wegzuschieÃen, trete aber daneben. Ein Stich fährt mir durchs Knie.
Ich kann das 1. Violinkonzert von Bruch rauschen lassen wie einen Rock aus Samt. Ich kann beim Zusammensitzen nach einem Konzert die schärfsten Witze erzählen und trotzdem elegant an meinem Champagner nippen. Aber ich bin keine Mama, auch wenn Sjors mich manchmal so nennt, »Mama«. »Pfui, Mama, putz dir die Zähne oben mit Seife.« Wenn ich fluche, sagt er das.
In den Jahren, in denen ich fruchtbar war, passierte es vier Mal, dass ich unter der Dusche stand und zwischen meinen Beinen eine Kaulquappe hinunterglitschte. Ich stand mit gesenktem Kopf, das Wasser peitschte auf Âmeinen Rücken, und ich starrte auf den grauen Granitboden, auf dem sich blutige Wasserschlangen zum Abfluss schlängelten.
»Ist vielleicht gut so«, sagte Valentine am Küchentisch in Delden. »Du hast sowieso schon so viel zu tun, und wenn es dringeblieben wäre, hättest du womöglich noch ein Mongölchen bekommen.« Valentine steckte mir eine lockere Haarnadel wieder fest und streichelte meine Schultern. Denn ich heulte jedes Mal, wenn es schiefging. Bei Valentine zu Hause.
»Für die Kühe.« Valentines Mund bewegt sich.
»Bitte?«
»Rüben schmausen sie gern, die lieben Tiere.« Valentine wendet sich zu mir um.
»Ja«, sage ich nach einer kurzen Pause. »Die lieben sie, und auch die Blätter.«
»Du findest es einfach schön«, sagt Valentine.
»Was finde ich schön?«
»Das weiÃt du genau.« Valentine dreht sich um ihre Achse. »Upps«, sagt sie und schiebt ihre Hüften von links nach rechts. »Da kommt die Erste Geigerin, die Konzertmeisterin, die so viel draufhat und auch noch so gut aussieht für ihr Alter.«
Ich kaue auf der Innenseite meiner Wange. Der Zug hinter der Schaufensterscheibe fährt seine Runden, Runden, Runden.
»Du genieÃt es. Früher auch schon. Alle mussten dich immer
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