Fallkraut
inzwischen gebracht worden. Sie schenkt ihr Glas voll, trinkt es in einem Zug aus und schenkt noch einmal nach.
»So, so«, sage ich, »du brauchtest was Herzhaftes.«
»Hast du zufällig einen Kamm dabei?«, fragt Sigrid.
»Natürlich, Liebes.« Ich nehme meine Handtasche, knipse sie auf und krame nach meinem Kamm.
»Ob sie hier auch Sonnenschirme haben?«, frage ich Rien. »Die Sonne brennt so schrecklich.« Ich reibe mir den Schweià von der Stirn. Gleich tränen mir noch die Augen von dem ganzen Salz, und meine Wimperntusche läuft aus.
»Rien, frag doch mal drinnen«, kommandiert Helma. Und als Rien aufsteht und hineingeht, erkundigt sie sich: »Sind Sie auch in der Kirche dahinten gewesen, mit der Marienfigur?«
»Da komme ich gerade her«, sagt Sigrid und gibt mir meinen Kamm zurück.
»ScheuÃlich, nicht wahr? Maria sieht aus wie der Ochse aus dem Krippenspiel.« Helma lacht gellend.
»Ach«, sagt Sigrid, »die Geschmäcker sind verschieden. Ich hatte gelesen, dass es ein ganz besonderer Altar ist, alt und noch völlig unversehrt.«
»Das kann man von uns nicht sagen«, kichert Helma.
»Bah«, sage ich und schaue auf den Kamm in meiner Hand. »Kannst du nicht deine Haare rausmachen?« Ich zupfe Sigrids blondierte Haare aus dem Kamm und werfe sie unter den Stuhl, wo der Wind sie aufhebt und an Helmas blasse Waden bläst.
Da kommt Rien mit einem Sonnenschirm angezuckelt.
»Von der Pension, in der wir wohnen, in Niederheimbach, sind wir ein bisschen enttäuscht«, sagt Helma, während Rien den Schirm in die Halterung schiebt. »Die ganze Nacht donnert der Verkehr unter dem Fenster entlang.«
Ich rücke meinen Stuhl in den Schatten. Puh, das ist besser.
»Unsere ist auch nicht so toll«, sage ich. »Aber es ist sauber, und die Besitzerin ist eine nette Frau.«
»Eine Idylle am Rhein haben sie es in unserem Reisebüro genannt.«
Helma zerdrückt mit dem Stampfer die Zitronenscheibe in ihrem Glas. »Nicht wahr, Rien?«
Rien hat sich wieder hingesetzt und nickt vage. »Ich persönlich fahre lieber ans Meer«, sagt er.
In der Pause, die entsteht, nimmt jeder einen Schluck von seinem Getränk. Ich werde ganz träge. Es fehlt nicht mehr viel, und ich döse ein.
»Was spielen Sie so alles?«, höre ich Rien Sigrid fragen.
»Alles Mögliche«, antwortet Sigrid mürrisch. Ich schaue zur Kellnerin, die die Tische abräumt.
»Potpourris«, murmele ich. »Music for the millions.«
Rien rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her. Er öffnet den Mund, lässt ihn einen Moment offen stehen und schlieÃt ihn dann wieder.
Er erinnert mich an die Karpfen, die im letzten Frühjahr auf dem Landgut Sprikkel beim Laichen aus dem Graben sprangen, am Ufer nach Luft schnappten und starben.
»Meine Schwester spielt alles Mögliche«, sage ich.
Warum ist Sigrid nie ein bisschen entgegenkommend zu Fremden? Gespräche brauchen doch nicht unbedingt zäh zu verlaufen? Ich kippe mein Glas in einem Zug hinunter.
»Lehár. Strauss. Mendelssohn. Bruch. Solche Sachen spielt meine Schwester«, sage ich. »Das populäre Repertoire.«
»Halt dich da raus«, zischt Sigrid.
Ich nehme ein Taschentuch und wische mir die Lippen ab. Der Alkohol steigt in meinem Kopf hoch wie ein Ballon, der Ballast abwirft, aber diesmal bin nicht ich der Ballast. Dieses eine Mal nicht. »Ich habe es übrigens früher auch gespielt«, fahre ich fort. »Wir waren mal ein Duo. Ich am Klavier und meine groÃe Schwester an der Geige.«
»Das hast du schon erzählt«, sagt Sigrid.
»Hab ich nicht.« Ich winke der Kellnerin. Ich habe noch Appetit auf ein Bierchen, jawohl, warum nicht. Schau, ich habe Otto bekommen. Sigrid nicht. Sigrid blieb immer ein freier Vogel. Aber mit einem Kind am Rockzipfel hat man doch weniger Bewegungsfreiheit. Da kann man nicht in jedem Moment des Tages verschwinden und seinen eigenen Wünschen nachjagen.
»Ich finde, du hast genug, Tine.« Sigrid stöÃt mich an.
»Misch dich da nicht ein. Ich habe Durst. Das ist normal bei dieser Bullenhitze. Sie noch was trinken?« Ich blicke Rien und Helma an.
»Ich mache gern Radtouren mit meinen Freundinnen«, plappert Helma »Nach Goor, Borne, De Lutte. Unterwegs halten wir immer zweimal an: einmal für ÂKuchen und einmal fürs Mittagessen. Wir
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