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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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herschieben. Diese Helma und dieser Rien haben dich jetzt schon wieder vergessen.«
    So viel Schwarz in Valentine. Rosige, runde Wangen. Ein Lächeln um den Mund. Große Brüste, zwischen ­denen man erdrückt wird. Weich und warm. Komm zu Mutti. Mutti wird für dich sorgen. Mutti wird dich er­sticken.
    Â»Warum erzählst du den Leuten nicht was über dich?«, frage ich. »Warum immer über mich?«
    Â»Nicht immer«, sagt Valentine und streicht sich eine imaginäre Locke hinters Ohr. »Ich erzähle eine ganze Menge über mich. Gern sogar, wenn die Leute es hören wollen. Gerade eben erst, ich habe ausführlich mit dieser Helma über meine Füße geplaudert, sie hatte sehr gute Tipps, während du dich mit Herrn Waas unterhalten hast.«
    Â»Deine Füße!« Ich lache. »Tisch den Leuten die wichtigen Dinge auf. So wie du es bei mir auch machst. Erzähl ihnen was übers Klavierspielen und wie schwierig du es findest, oder über Karel. Wie ihr nach dem Krieg eure Brötchen verdient habt.«
    Â»Hör auf mit Karel«, sagt Valentine.
    Â»Warum?«, frage ich. »Da hast doch eine hübsche Geschichte. Über Karels Pass und dass er den nach dem Krieg nie mehr zurückbekommen hat und dass deshalb keine Sonntagsausflüge nach Bad Bentheim mehr auf dem Programm standen. War das aber langweilig. Da hat Frau van Snitten ganz schön bedeppert geguckt. Musste sie den ganzen Nachmittag zu Hause hocken.«
    Â»Hör auf mit Karel«, sagt Valentine noch einmal. Rote Flecke erscheinen an ihrem Hals.
    Gut so. Fühlt sie sich auch mal mies. Tine, so sanft. Von wegen.
    Ich weiß noch, wie wir am Tisch saßen. Die Kerzen waren angezündet, und Mama kam mit der dampfenden, versilberten Suppenterrine herein. Tine hatte ihre linke Hand unter dem Tisch, ihre Finger gekrümmt, die Nägel scharf. Sie kratzte, wo sie meine Hand nur erwischen konnte, und lächelte Papa und Mama dabei an. Ich spürte unter dem Tisch, wie sich meine Haut löste, etwas ­Klebriges benässte Valentines Fingerspitzen. Erst kam Lymph­flüssigkeit, dann Blut. Das hatte ich in Biologie gelernt.
    Ich quiekte. Papa und Mama schauten von ihren Tellern hoch.
    Â»Die Suppe ist heiß«, log ich. »Ich habe mir den Mund verbrannt.«
    Tine ließ los, holte ihre Hand wieder unter dem Tisch hervor, steckte die Finger in den Mund, sah mich an und leckte sie ab.
    Â»Vergiss auch ja nicht, von deinem Kind zu erzählen«, sage ich.
    Â»Oh, Otto?« Valentines Stimme zittert.
    Â»Ja. Erzähl, was dein Sohn beruflich macht«, fahre ich fort, »wo er wohnt und wie viel er im Monat verdient. Erzähl von den schönen Autos, die er in der Einfahrt stehen hat, und erzähl dann auch, wie gut er für seine bedürftige Mutti sorgt. Warum er so gern vorbeikommt.«
    Â»Der Junge hat viel zu tun.«
    Ich sehe, dass sich Valentines Finger weiß-gelb ver­färben, so fest umklammern sie den Henkel ihrer Hand­tasche.
    Â»Viele, viele Kilometer wohnt das Kind von seiner Mutti entfernt.«
    Valentine hat ihre Lippe hochgezogen. Ihre falschen Zähne werden sichtbar. Irgendwie erinnert sie mich an unseren Adolf, das Schwein, das früher hinten im Stall lebte. Wenn Adolf zu fressen bekam, fiel er mit aufgesperrtem Rüssel über den Trog her.
    Â»Wann hat Otto zum letzten Mal in der Noorderhagen vorbeigeschaut?«, ich zähle es an den Fingern ab. »Vor sechs, sieben Monaten? Pfui, die Kinder von heute haben aber wirklich viel zu tun.«
    Valentine macht eine Handbewegung. Die Tasche schlenkert an ihrem Arm hin und her.
    Ich stelle mich direkt vor sie. Die Spitzen meiner Sandalen berühren die ihrer Ballerinas. Aus ihrem Mund steigt Biergeruch auf. »Pass auf, dass die Henkel nicht reißen«, sage ich. »Oder willst du lieber treten?«
    Starr stehe ich Valentine gegenüber. »Na los«, sage ich. »Schlag doch zu. Wie früher. Dahin, wo es weich ist, und dann so lange wie möglich. Für den größten Effekt. Das konntest du immer gut. Und kratzen und beißen. In mein Handgelenk, die Innenseite meines Arms.«
    Ich balle die Fäuste in den Hosentaschen.
    Aber Valentine rührt sich nicht. Mit halberhobener Hand steht sie da und starrt mich an. Noch unheimlicher eigentlich als Adolf. Dann lässt sie die Hand sinken, dreht sich um und läuft zu einem Schaufenster.
    Hinter der Scheibe

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