Fallkraut
war. Was sollte ich noch bei Karel? Und langsam kamen mir auch andere Wörter in den Sinn, Sadist, ScheiÃkerl, Arschloch. Ein Mann, der seine Frau nicht anfassen will, ist nicht normal. Vielleicht liebte er ja Männer. Oder, noch schlimmer, fickte mit einer anderen Frau.
Ich durfte ihn verlassen.
Die Leute in Delden würden sich das Maul zerreiÃen.
Der Herr Pfarrer, der mir bei der Kommunion das Dirndl zugezogen hatte, würde eine Scheidung verbieten. Ich würde in die Hölle kommen. Nie mehr die Hostie empfangen.
Wo konnte ich hin?
Zu meinem Bruder Gottlieb in der Tschechoslowakei?
Gottliebs Frau Margarethe kocht die Koteletts und hasst Besuch aus Holland wie die Pest.
Zu Sigrid?
Eine Nacht kann ich bei ihr bleiben, im Gästezimmer, das auch ihre Nähstube ist. Zwischen dem Gerümpel von Sigrid, die nie etwas aufräumt.
Meine Därme rebellierten beim Gedanken an Ottos Eichhörnchenaugen, die mich verständnislos ansehen würden. Koffer packen, eine Ausrede erfinden. »Mama und du verreisen zusammen. Zu Tante Sigrid und von dort vielleicht sogar noch weiter.« Otto würde Angst haben. Er würde sein eigenes Zimmer vermissen, seine Autos und seine Dampfmaschine, die Schaukel im Garten.
Ich weinte stumm, und dann kam der Morgen. Beim Frühstück sagte Karel: »Verdammt, nun hab doch mal ein bisschen Verständnis. Es war ein schwerer Tag gestern im Büro. Ich bin eingeschlafen. Na und? Du darfst nicht alles glauben, was ich sage.«
In diesem Moment kochte die Milch über, und ich musste mit einem Schwamm und warmem Wasser ran. Ich dachte: Lass mal. Schau erst mal. Ãberleg es dir noch mal.
Das sollte ich tun, beschloss ich. Es mir noch mal überlegen.
Ich muss weniger essen. Natürlich. Aber zuerst aufs Klo. Ich rutsche zur Bettkante, hieve mich hoch, stecke meine Zehen in die Pantoffeln und schlurfe ins Bad. Ich überprüfe die Brille auf Spritzer von Sigrid, zerre mein Nachthemd hoch, ziehe die Unterhose runter und lasse mich vorsichtig sinken.
Sofort plätschert es. Mit gespreizten Beinen und gekrümmtem Rücken schaue ich zwischen meinen Schenkeln hindurch auf den dampfenden Strahl, den ich hervorbringe. Schön gelb. Gesund gelb. Wie wogendes Getreide so gelb. Das ist ja wenigstens was. Jedenfalls mehr, als grübelnd in einem Hotelbett zu liegen. Nächstes Jahr werde ich dreiundsechzig. Dann ist Karel schon fast zwölf Jahre tot, und ich bekomme ErmäÃigung im Bus und in der Bibliothek.
Die Plastik-Klobrille schneidet mir in die Schenkel, wann hört das Getröpfel denn endlich auf? Ich reiÃe ein Stück Toilettenpapier von der Rolle und wische mich ab. Statt von hinten nach vorn von vorn nach hinten, damit keine Bakterien in den Schambereich gelangen. Ich beuge mich tief hinunter.
Fertig. Ich richte mich auf, ziehe die Unterhose hoch, greife nach der Metallkette, und lasse den Spülkasten leer laufen. Manchmal braucht man nur eine Kleinigkeit zu verändern, und es verändert sich gleich eine Menge mit. So ist es auch mit der Wischrichtung. Weder Mama noch Papa brachten mir bei, wie es wirklich hygienisch ist, also wischte ich mir den Schmutz immer direkt in den Schritt. In den Jahren, in denen Karel im Lager saà und ich ständig Probleme mit dem Bauch hatte, erzählte eine Frau vor mir in der Schlange auf der Post einer anderen, wie man es machen muss. Von vorn nach hinten oder von hinten nach vorn, je nachdem, was für ein Geschäft man verrichtet.
Ich wasche mir die Hände, sprenkele etwas Wasser auf meine Stirn und meine Wangen.
Karel, Otto, Sigrid und Papa, alle haben sie mich im Stich gelassen.
Ich krieche wieder ins Bett und ziehe mir die Decke bis über die Nase.
»Das Leben ist ein Tennisplatz«, sagte Papa. »Manche Tennisspieler spielen vorn besser, andere hinten. Es gibt ein Netz, das verdeutlicht, welche Bälle zählen und welche nicht. Und es gibt die Linien, kerzengerade und schneeweiÃ.« Herrlich fand Papa Linien. Linien bestimmen, dass »drin« drin ist und »aus« aus. Und nach dem Match kommt der Platzkehrer und fegt alles wieder Âsauber.
So war es auch, als Papas Anteile an der Russischen Eisenbahn keine Krone mehr wert waren und die Bolschewiken die Grenzen schlossen. Mama fragte, wie sie sich nun durchschlagen sollten: Würde er auf dem Bauernhof von Kramer Kühe melken oder so?
»Noch mal von vorn«, sagte Papa. »Eine neue
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