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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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für Ordnung im Haus. Ich tupfte Karels Stirn mit einem nassen Waschlappen ab. Ich kaufte diese Bananen, denn das war das einzige, was er bei sich behielt. Der Rest landete, schwuppdiwupp, in der Wasserkanne.
    Als er sich wieder erholt und Arbeit gefunden hatte, stellte ich mich schlafend, wenn er morgens aufstand und schlurfend die Dinge tat, die die Menschen ihr Leben lang im Badezimmer tun, wenn ihre Blase zum Platzen voll ist und ihr Mund nach Vogelkacke riecht. Ich hörte die Schuppentür auf- und zugehen und die Fahrradreifen über den Kies knirschen. Unter den Spanngurten hatte Karel sein Köfferchen mit Holzkohlestücken, Bleistiften und, als die Geschäfte etwas besser liefen, auch Zirkeln.
    Ich wollte das nicht. Ich hatte es mir doch nicht ausgesucht? Warum musste ich es dann auslöffeln?
    Karel zuckelte mit einem Baumwollsäckchen um den Hals von Bauernhof zu Bauernhof. Dieses Säckchen hatte ich ihm aus einem alten Kissenbezug genäht. Da konnte er sein Geld hineinstecken und unter dem Pullover verbergen. Denn auf den stillen Wegen außerhalb von Delden wussten die Bauern und Knechte ihn zu finden. Sie lauerten ihm auf, mit Mistgabeln und Holzschuhen, zogen ihm die Mütze vom Kopf, zerstachen ihm die Reifen, traten seinen Koffer vom Rad und zerbrachen alles, was darin war.
    Â»Wehrt er sich denn nicht?«, fragte Sigrid. Mit den Fingern trommelte sie den Takt des Radetzkymarsches auf den Küchentisch. »Als Kerl lässt man sich doch nicht einfach so zusammenschlagen?«
    Ich ließ die Schultern hängen und krümmte den Rücken: »So steht er auf der Matte im Flur nach so einer Tracht Prügel. Als ob es zur Schlachtbank ginge. Und wenn ich sage, dass ich mich schäme, meint er, dass ich erwachsen werden soll, realistisch sein. Jetzt gilt Auge um Auge und Strafe muss sein, meint er. Ich soll die Wut der Menschen über mich ergehen lassen und mich mit dem Wind biegen.«
    Und darin gab Sigrid Karel dann wieder recht.
    Die Sonne fällt durch die Balkontür herein, kriecht über den Teppich, über die rosa Bettwäsche und erreicht meine Hände. Ich sehe meinen Ehering haarscharf.
    Wenn ich mich manchmal vor dem Ankleidespiegel ausziehe und meinen Körper inspiziere, dann bemerke ich, dass die Haut an meinem Bauch, meinen Armen und vor allem meinem Hals immer mehr dem billigen Toilettenpapier gleicht, das ich früher auf Karels Geheiß kaufen musste. Überall entdecke ich feindliche Falten mit Leberflecken. Sogar in der Schamgegend und am Hintern hat sich alles gegen mich verschworen, verwandelt sich das, was einmal zart, süß und unschuldig war, in ein Schlachtfeld, von dem selbst ich den Blick abwende: igitt.
    Kann ich Karel unrecht geben?
    Schon 1938 sagte er: »Nie schön gefunden.«
    Am Tag, als der Führer bei Asch über die Grenze in mein Sudetenland einzog. An diesem Tag brach in meiner Heimat eine glückliche Zeit an. Überall Nelken und Dahlien und frohe Gesichter, und Marie, die Tochter von Bauer Kramer aus Sonnenberg, schrieb an Sigrid: »Jetzt sind die Tage des Schreckens und der Pein vorüber. Jetzt sind wir wieder Gleiche unter Gleichen. Bald wird alles Unrecht der Vergangenheit vergessen sein.«
    In der Noorderhagen machte Karel eine Flasche Rotwein auf, und gegen elf, als meine Wangen vom Wein glühten und ich mich kaputtlachte über Karels Witze, da dachte ich voll Verlangen: Vielleicht wird es heute Abend doch noch einmal passieren.
    Wir waren zehn Jahre verheiratet, und es war nur ein Kind aus meinem Bauch gekommen.
    Schließlich stand Karel auf, um den letzten Rest Wein einzuschenken. Ich knöpfte meine Bluse weiter auf. Karel drehte sich um und sagte: »Immer unattraktiv.« »Ich dich.« »Ich dich gefunden.« »Nie, nein, nie ein Vergnügen.«
    Ich sei im Bett nie ein Hit gewesen.
    Ich sei ungeschickt und verlegen, und auch so prüde.
    Als Karel meine Tränen sah, wurde er wütend. »Ja, versteck dich nur wieder hinter Tränen«, rief er. » Das ist am einfachsten. So dass ein Kerl nie irgendwas sagen kann.«
    Karels Augen glänzten vom Wein und der Hitze des Ofens, aber seine Augen waren kalt, als ob wir überhaupt nichts miteinander teilten, nicht einmal einen Sohn. Er meinte: »So was darf ruhig mal gesagt werden. Ich rühre daran. Ich traue mich das. Ich kehre nichts unter den Teppich.«
    In dieser Nacht begriff ich, dass meine Ehe vorbei

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