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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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Partie.«
    Papa stand vor dem Spiegel im Flur und kämmte sich die braunen Locken glatt. Mein Papa. So ganz anders als die anderen Väter im Dorf. Die trugen Lederhosen mit Hosenträgern und krempelten sich die Hemdsärmel bis zu den Ellenbogen hoch. Im Sommer banden sie sich ein Taschentuch um den Hals gegen den Schweiß, und im Winter zogen sie Stiefel an, mit denen sie einen halben Meter Schnee durchpflügen konnten, ohne dass ihre Socken nass wurden. Die anderen Väter hatten Fleisch auf den Knochen, rosige Gesichter und strohblondes Haar, tranken literweise Bier am Feiertag und arbeiteten auf dem Feld oder bei den Tieren.
    Nicht so mein Papa. Mein Papa war schlank, und sein Gesicht hatte die Form der Fledermäuse, die auf der Innenseite der Balken im Stall hingen und schliefen. Seine Haare hatten die Farbe von Bucheckern, und seine Haut war wachsbleich unter seinem Hut, auch im Sommer.
    Â»Euern Vater haben die Zigeuner zurückgelassen«, sagte Mama. »Und nun zieht er ihnen hinterher. Er braucht nur seiner Nase zu folgen. Dann kommt er schon bei diesen Stinkern an.«
    Solche Sachen sagte Mama, wenn Papa nicht zu Hause war. Manchmal war Papa von Weihnachten bis Ostern weg, und dann schmiss Mama mit Töpfen und sprach von der Landstraße und den Festen, die Papa entlang dieser Landstraße feierte. Ich wusste nicht, was Mama damit meinte. Ich konnte mir nicht vorstellen, was es bedeutete, aus Sonnenberg wegzugehen. Ich dachte, ich würde immer in unserem Dorf wohnen bleiben. Hier wohnten Tante Ingrid und Onkel Willie mit ihrem Rudel Jagdhunde, die einfach im Haus herumlaufen durften und auf allen Sofas und Stühlen saßen und einem die Hände leckten, wenn man sie unter den Tisch hielt.
    Â»Ich gehe nie weg, was Papa auch sagt«, behauptete ich Mama gegenüber. »Und wenn ich doch wegmuss, laufe ich davon und komme zurück.«
    Â»Natürlich, mein Schatz«, erwiderte Mama. »Natürlich wirst du weggehen.«
    Auch wenn Papa zu Hause war, meckerte Mama. »Dein Vater denkt nicht daran, wie viel Arbeit er uns macht.« Mama hielt sich den Rücken, an der Stelle, die vom Bücken über den Waschzuber schmerzte. »Euer Vater will nur eins, den feinen Herrn spielen.«
    Aber dann kam Papa in die Waschküche, strich mir über den Kopf, kitzelte Mama im Nacken, fragte: »Soll ich dir heute Abend den Rücken massieren, mein Engel?« Dann lachte Mama. Und zu mir sagte Papa: »Komm, Tine, meine sanfte Tine, komm mal zu Papa. Du bist Papas Prinzesschen.«
    Ich war Tine, Muttis Stütze, und ich machte meinen Vati froh.
    Papas neue Zukunftspläne beinhalteten Musik. In ungefähr drei Jahren sollten Sigrid und ich bereit dafür sein. »Du am Klavier, Tine, und Sigi an der Geige.« Üben. Acht Stunden täglich. Noten einstudieren, als ob es Bratenrezepte wären. Auch wenn wir Schulferien hatten.
    Â»Rücken gerade, Handgelenk leicht gebeugt, locker, locker«, kommandierte Papa. »Hörst du nicht, was ich sage, Valentine? Du spielst viel zu verkrampft. Entspann dich!! So kommt nie Musik aus deinen Fingern.«
    Ich konnte ihm den leckersten Kaffee kochen, ich ­polierte die Kaffeekanne, die schönste Tasse auf eine Untertasse, Zucker daneben und lauwarme Milch, genau wie Papa es am liebsten hatte. Warum dann diese böse Stimme? Warum so schnauzen?
    Â»Deine Schwester«, fand Papa, »hat am meisten Talent. Und sie hat auch mehr Ausstrahlung. Sigi, Schätzchen, stell dich mal vorn auf die Bühne. Gut so. Wunderbar. Zeig ihnen, was du draufhast, Sigi.«
    Mein Gebiss glänzt verblüffend weiß in dem Glas. Mein Atem geht stoßweise.
    Von dem Moment an, da Sigi dieses erstaunliche Talent für die Geige zu haben schien, wickelte sie jeden um den Finger. Sogar Mama. Selbst wenn Mama mit den Töpfen auf die Spüle schlug – »Wenn ihr jetzt nicht zum Essen kommt, gebe ich alles den Schweinen!« –, wusste Sigrid sie noch zu beschwichtigen, so dass sie den Markknochen bekam und ich nur einen einzigen Kloß in der Suppe.
    Nach unserem ersten Auftritt gab Papa Sigrid reichlich übertrieben einen Handkuss. Sigrid mit ihren blonden Locken und ihren Augen, so blau wie Vergissmeinnicht. Mir nicht. Zu mir sagte Papa: »Du hast ein liebes Gesichtchen. Kriech du nur hinters Klavier.«
    Â»Und ansonsten kann sie immer noch Schwimmchampion werden«, sagte Sigrid.
    Papa lachte. Denn bei

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