Fallkraut
säubern, streicheln, hegen, loben und preisen. Ich werde diese Geige jubeln lassen, wie noch nie jemand oder etwas auf dieser Erde gejubelt hat. Mein Schatz. Von mir gesehen, gewürdigt und entdeckt. Und wenn die Zeit reif ist, dann werde ich ihn in die Ãffentlichkeit bringen, wie einen jungen Kavalier auf einem Ball.
Ich berühre die Saiten. Ich muss vorsichtig sein. Die Konkurrenz schläft nicht, es gibt immer Menschen, die es einem missgönnen, Wölfe im Schafspelz. Mein Kopf ist vollkommen klar, als ob ein heftiger Regenschauer niedergegangen wäre, der den ganzen StraÃenschmutz, der sich in den Höhlen und Spalten meines Gehirns angesammelt hatte, hinweggespült hat. Ich muss auf der Hut sein. Ich werde das Instrument erst erklingen lassen, wenn alles abgeklärt ist. Wenn ich das Zertifikat in der Tasche habe und nicht mehr daran zu rütteln ist.
Selbst Tine wird die Geige nicht eher hören.
Deshalb drehe ich mich um und sage: »Es tut mir leid, Valentine, aber ich habe keine rechte Lust. Nicht jetzt. Nicht mit diesem Bauch, der mir vom Essen zwischen den Beinen hängt.«
8 Valentine
Erst vor fünf Tagen habe ich die Haustür abgeschlossen, bin mit meinem Gepäck den Kiesweg hinuntergelaufen und ins Auto der Schorredijkjes gestiegen, die mich zum Bahnhof von Delden gebracht haben. Hinten im Auto kam ich mir vor, als ob ich auf dem Schiff von dem Mann mitfahren würde, der Indien entdecken wollte, aber stattdessen irgendwo in Amerika landete.
Und jetzt? Ich fühle mich ganz zu Hause im Urlaub, es ist gemütlich in unserem Hotelzimmer, zusammen mit SigÂrid. Ich habe Annelore mit ihrem grüblerischen Gesicht liebgewonnen, die Hunde Siegfried und Rosamund und sogar die stark befahrene StraÃe direkt vor dem ÂHotel, die sorgt wenigstens für etwas Leben in der Bude.
Vorgestern haben wir einen Ausflug zur Burg Sooneck gemacht, ein schnuckeliges Schlösschen, mit Rosensträuchern überwachsen, oberhalb von Niederheimbach, wo wir am ersten Abend unseres Urlaubs gegessen haben. Es war eine ziemliche Tippelei über die Berge, und ich hörte mich sagen: Oje, ich habe meine Sonnencreme zu Hause liegen lassen.
Zurück im Hotelzimmer, sah ich im Spiegel, dass meine Nase und meine Oberarme verbrannt waren. Und meine FüÃe, die habe ich eine halbe Stunde lang in eine Schüssel mit kaltem Wasser gestellt. Sigrid hat unten eine Portion Currywurst mit Senf für mich geholt, aber die habe ich nur zur Hälfte geschafft. Nach ein paar Bissen bin ich eingeschlafen und habe von weiÃen, gelben und zum Glück sehr vielen roten Rosen geträumt, letztere finde ich nämlich am schönsten.
Am Tag zuvor waren wir mit dem Bummelzug nach Rüdesheim gefahren. Eine grandiose Tour, mit all den Durchblicken, Bächen, Ruinen und malerischen Weindörfern. Ich presste meine Nase ans Fenster, während ÂSigrid aus dem Reiseführer vorlas: über Burgfräuleins und geizige Bischöfe und Mäuse, die die Schurken auffressen, und über das Gute, das am Ende vom Lied immer gewinnt. Genau wie es mir der Mann auf der Fähre erzählt hatte. In Rüdesheim schlenderten wir auf dem Boulevard auf und ab und kauften in der überfüllten Drosselgasse Geschenke für Otto und die Enkelkinder. Ermüdend, diese ganzen Touristen. Ich sagte: »Wollen wir heim?«
Und damit meine ich unser Hotel in Lorch. So sehr fühle ich mich zu Hause.
Alles gut.
Kein Grund zur Sorge.
Sigi und ich. Nach diesem seltsamen Zusammenstoà am Anfang hat es keinerlei Missmut mehr zwischen uns gegeben. Wir haben sogar noch sehr laut darüber gelacht.
Dieser Rien sei schon ein netter Mann, fand Sigrid.
»Gewiss«, sagte ich. »Es ist lange her, dass ich dich so angeregt mit einem Mann habe reden hören. Und was für ein Mann.«
Sigrid kniff mich in den Arm und schlug die Augen zum Himmel. »Du hast doch keine Ahnung, du warst schlieÃlich gerade in die Materie vertieft, die Helma angeschnitten hatte: Riens Schuh und seine Bakterienwucherung.«
»Hast du die Beine gesehen?«, lachte ich.
»Diese Ballonwaden?«, fragte Sigrid.
»Sandalen mit Socken?«
»Hast du die Krusten an Helmas Mund gesehen?«
Und darauf brachen wir alle beide in Lachen aus.
Aber heute öffne ich die Augen, und das Bett neben mir ist leer. Ich sage: »Sigrid?«, Und noch einmal, lauter: »Sigrid, sitzt du auf dem Klo?!«
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