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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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Hundehaufen, in dem ein rosa Bonbonpapier steckt, wie ein Rosenblatt. Das Schaufenster ist schmutzig, die gemalten Buchstaben auf der Scheibe sind abgeblättert.
    Ich nehme ein Taschentuch, spucke hinein und wische ein Stück Fenster sauber. In der dunklen Auslage steht ein rot-weißer Miele-Staubsauger mit Rundum-Drehgelenk. Um diesen sind ein Schlauch, Saugdüsen, verschiedene Zubehörteile, Staubsaugerbeutel fächerförmig drapiert. Neben dem Miele stehen eine Art fliegende Untertasse, ein Hoover, und ein gebrauchter Electrolux mit Rissen im Plastik. Ebenfalls umringt von Staubsaugerbeuteln, einem nagelneuen Schlauch und einer Saugdüse mit einem Kärtchen daran: Passt sich vollautomatisch all ihren harten und weichen Teppichböden an.
    Ich verschiebe den Geigenkasten auf meinem Rücken und hole einen Zettel aus meiner Handtasche. Kapellenberg 62. Das muss es sein. So steht es in Adriaans Brief.
    Vorsichtig steige ich über den Hundehaufen und öffne die Ladentür. Hinten ertönt eine Klingel. Auf dem Boden gesprungene rot-weiße Fliesen. Ein hölzerner Ladentisch, dahinter bis zur Decke aufgestapelte Kartons mit Staubsaugerbeuteln. Keine Kasse.
    Als ich mich über den Ladentisch beuge, sehe ich eine offene Schublade mit Gummis, Plastiktüten, einer Kneifzange, losen Nägeln, klebrigen Hustenbonbons und Zehn- und Fünfmarkscheinen, zum Greifen nahe. Um mich herum stehen Reihen von Staubsaugern.
    Was will ein Geigenbauer mit Staubsaugern?
    In diesem Augenblick schlägt hinten im Laden eine Tür.
    Â»Wir haben zu!«, knarrt eine Stimme.
    Ich höre einen Schritt und einen Stoß, einen Schritt und den Bruchteil einer Sekunde später wieder einen Stoß, als ob der Mensch seinen Fuß nachzieht.
    Aus dem Dunkel taucht ein kleiner, krummer Mann in einem Kittel auf. Ich erkenne ihn: der Einbeinige aus der Kirche. Erst als er vor mir steht, hebt er den Kopf.
    Â»Wir haben zu«, wiederholt er. Seine Stimme kratzt wie ein Nagel auf einer Schultafel.
    Â»Herr von Wain?«, frage ich. Ich presse meinen Rücken an den Geigenkasten.
    Â»Steht das nicht deutlich auf meiner Schaufensterscheibe? Sehen Sie hier noch jemanden rumlaufen?« Von Wain blickt auf die Staubsauger, schiebt mit einem Knall die Schublade mit Geld und Kneifzangen zu.
    Der Blumenpfleger aus der Kirche. Er lachte, als ich sagte, dass ich Geigerin sei. Was bildete dieser Kerl sich ein?
    Im letzten Frühjahr beobachtete ich bei einem stinklangweiligen Betriebsausflug mit dem Orchester im Rotterdamer Zoo, wie das eine Nilpferdmännchen mit einem anderen Männchen kämpfte. Es war der Höhepunkt meines Tages. Die Nilpferde rückten einander mit Mäulern wie Ofenladen zu Leibe, und bei jedem Stoß blubberte ihr Fleisch hin und her. Als Caravan-Kees mich holen kam, weil die ganze Meute bereits bei Apfelkuchen und Kaffee auf der Terrasse saß, sagte ich: »Was interessiert mich dieser verdammte Rest?«
    Und so jetzt auch: Was interessiert mich dieses Einbein? Ein Muskel in meinem linken Augenlid zittert, ich reibe, zwinkere und hole das Empfehlungsschreiben von Adriaan hervor. Ich nehme den Geigenkasten vom Rücken und lege ihn demonstrativ neben den Brief auf von Wains Ladentisch.
    Â»Einer meiner besten Freunde vom Fach«, beginne ich, »jemand, dessen Meinung ich über alles schätze, hat mir empfohlen, bei Ihnen vorbeizuschauen. Sie müssen ihn kennen. Adriaan Ballemann aus Mittenwald.«
    Beim Namen Mittenwald geht ein Zittern durch Einbein. Seine Prothese klappert.
    Eine Pause tritt ein. Dann sagt der Staubsaugerverkäufer: »Adriaan.« Er sagt es langsam und nachdrücklich, als ob jeder Buchstabe eine Münze wäre, die er aus einem übervollen Staubsaugerbeutel herausfischt.
    Â»Ja«, erwidere ich. »Adriaan sagt, dass Sie der Allerbeste sind.«
    Â»Sagt Adriaan das?« Der Staubsaugerverkäufer klingt erstaunt. Die Prothese ragt schief aus seinem Rumpf heraus, wie ein ausgekugeltes Puppenbein. »Ich verkaufe jetzt Staubsauger«, murmelt er und kratzt sich im Nacken.
    Â»Das ist offensichtlich«, sage ich.
    Der Staubsaugerverkäufer nimmt den Brief von Adriaan. Als er ihn ausgelesen hat, seufzt er. »Möchten Sie vielleicht einen Kaffee?«
    Ohne meine Antwort abzuwarten, läuft er zur Ladentür, dreht das Schild, auf dem »Geöffnet« steht, um und schließt die Tür ab.
    Ich folge Einbein nach hinten. In

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