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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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sie ganz nah zu spüren.
    Valentine will keinen Mittagsschlaf halten. Sie hat Lust, durch das Städtchen zu bummeln, vielleicht kann sie irgendwo ein gutes Anti-Fitz-Shampoo ergattern. Aber zuerst räumt sie den Essenskram auf. »Fühlst du dich gut genug, nachher ein Stückchen zu laufen?«, fragt sie. »Es klart auf.«
    Ich nicke. »Diese Würstchen habe ich wirklich gebraucht. Gute Idee von dir, Schatz.«
    Ich schlage die Bettdecke zurück, suche meine Pantoffeln und stehe auf. Ich gehe zum Fenster und schaue hinaus. Ein Stückchen Blau zwischen den Wolken. Ich laufe zum Bett zurück, setze mich, stehe wieder auf, suche eine Strickjacke, ziehe sie an und auch wieder aus.
    Â»Was tigerst du denn hin und her?«, fragt Valentine. Sie hat alle Teller und Schalen auf dem Rollwagen versammelt und fährt ihn auf den Flur hinaus.
    Â»Huhu! Fräulein!«, höre ich sie rufen. »Wir sind fertig mit dem Essen! Sie können das schmutzige Geschirr mitnehmen. Hier. Ja, danke schön!«
    Als Valentine zurückkommt, stehe ich an der Tür des Kleiderschranks. Hinter den Bügeln mit meinen Hosen lehnt der Geigenkasten im Dunkeln.
    Â»Was treibst du da?«, fragt Valentine. »Deine Sachen von gestern habe ich an den Haken im Bad gehängt.«
    Ich wippe von einem Pantoffel auf den anderen, reiße einen Faden von meinem Nachthemd ab. »Es gibt da was«, beginne ich, »das ich dir gern zeigen möchte.« Ich versuche, beherzt zu klingen. »Ich möchte es dich hören lassen. Das wollte ich schon viel früher tun. Aber du darfst nicht böse werden.«
    Â»Warum sollte ich böse werden?«
    Ich zucke mit den Schultern. »Nicht böse werden«, sage ich noch einmal. »Versprich es.«
    Â»Gut, ich werde nicht böse. Ich verspreche es.«
    Â»Schwör es.« Ich spreize Zeige- und Mittelfinger meiner rechten Hand und sage: »Spucken.«
    Â»Du bist so kindisch.« Valentine lacht. »Wenn du willst, dass ich schwöre …« Sie spreizt ihre Finger, räuspert sich und spuckt zwischen ihrem Zeige- und Mittelfinger hindurch. Der Klecks landet in einem Bogen in dem Papierkorb aus Metall. Valentine konnte schon immer gut spucken.
    Ich drehe mich um und hole meinen Geigenkasten aus dem Kleiderschrank. »Du möchtest doch, dass ich dir etwas vorspiele? Du hast mich darum gebeten, in den letzten Tagen.«
    Â»Ja? Und?« Valentine runzelt die Stirn. Sie sieht aus wie ein zehnjähriges Kind, nur mit einem alten Kopf.
    Â»Jetzt, wo wir so geredet haben, vorhin, du weißt schon, über die Zustände im Orchester, und du so lieb zu mir gewesen bist …«
    Â»So geredet?«, sagt Valentine.
    Es ist, als würde etwas in meiner Speiseröhre klemmen. Ich räuspere mich und schlucke. »Jetzt, wo du schon so viel weißt, sollst du das auch noch wissen.«
    Ich knipse den Kasten auf und nehme meine Geige heraus.
    Â»Hast du eine neue Geige?«, fragt Valentine. »Wo ist deine Thibout?«
    Â»Getauscht«, sage ich. Mit zitternden Händen spanne ich meinen Bogen. Ich harze ihn, stimme das Instrument und summe vier Takte. »Hör mal.«
    Ich spiele kein Liedchen aus dem Stegreif, wie ich ­gerade noch vorhatte, sondern den langsamen ersten Teil von César Francks Sonate für Violine und Klavier . Vorsichtig taste ich die Melodielinie ab, fast wie verlang­samtes Spazierengehen. Ich versuche, so schön wie möglich zu spielen. So wie ich früher spielte, als alles leicht ging.
    Komm nur, sagt die Musik, die Tür ist offen. Tritt ein, langsam, es gibt keinen Grund, sich zu fürchten, niemand tut dir etwas Böses, die Kissen sind weich, der Teppich unter deinen Füßen ist warm, und eine Katze schnurrt auf dem Fensterbrett. Ich trete in das Zimmer, spüre, wie meine Füße in den Kräuseln des Teppichs versinken, und genieße die Holzscheite, die im Kamin brennen. Jedes Thema kehrt wieder, nichts verschwindet auf ewig, es bleibt immer ein Fünkchen zurück, auch von Mama und Papa, von Sjors und Valentine.
    Als ich die letzte Note gespielt habe, lege ich die Geige aufs Bett. Ich wische mit einem Staubtuch über Decke und Hals, schraube die Kinnstütze ab und packe die Geige in den Kasten. »Wie findest du sie?«, frage ich. Meine Wangen glühen. »Wie findest du ihren Klang?«
    Â»Ganz hübsch«, sagt Valentine. »Aber für mich darf es ruhig

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