Fallkraut
ein bisschen weniger sein. Wo hast du das Ding her? Sieht nicht besonders schön aus.«
»Günstig erworben.« Ich reibe mir den Hals, an der Mulde, wo es juckt. Was versteht Valentine vom Geigespielen? »Weiss hat einen Mann zu mir geschickt, er kam aus Dresden.«
»An der Tür?«, fragt Valentine. Sie zieht die Augenbrauen hoch. »Du willst doch nicht behaupten, dass du eine Geige an der Tür gekauft hast? Von Zigeunern? Du weiÃt doch, was Papa gesagt hat?«
»Was schert mich Papa?«, schnauze ich. »Papa hat so viele Dinge gesagt, die hinten und vorne nicht stimmten. AuÃerdem sitzt der jetzt gemütlich im Himmel und singt Gottes Lob. Und Zigeuner? Na und? Wir waren früher doch auch halbe Zigeuner, als wir auftraten.«
Ich gehe ins Bad und komme mit zwei Gläsern Wasser zurück. »Du?«
Nein. Valentine schüttelt den Kopf. »Ich habe noch Bier.«
Ich trinke die zwei Gläser nacheinander aus. »Hatte ich einen Durst.« Ich fühle mich, als hätte ich vor einer totenstillen Klasse ein Referat gehalten und der Lehrer wäre unschlüssig über die Zensur. Warum brabbelt Valentine hinter ihrem Bier so vor sich hin? Ich sehe, wie sich ihre Lippen bewegen. Warum kommt sie nicht zu mir, um sich meine Geige anzugucken? Und »hübsch« â was heiÃt das, »hübsch«? Kühe sind hübsch. Sie könnte mir doch auch einfach zu meiner Neuerwerbung gratulieren?
»Manche Leute meinen, dass so um die dreitausend Instrumente aus seinem Atelier gekommen sind«, sage ich. »Aber andere denken, dass es nur elfhundert waren oder zwölfhundert. Wenn man von zwanzig Instrumenten im Jahr ausgeht und weiÃ, dass er neunzig Jahre alt wurde, dann kommt man doch leicht auf â¦Â«, ich überschlage rasch die Summe, »gut vierzehnhundert.«
»Keine Ahnung«, sagt Valentine. »Ich war nie gut im Kopfrechnen.«
»Es scheinen noch etwa hundert Instrumente in der Welt herumzuvagabundieren, von deren Existenz wir nichts wissen.«
»Von wem sprichst du?« Valentine schenkt sich ihr Bier ein. Der Schaum sprudelt über den Rand des Glases. Sie beugt sich schnell vor und leckt.
»Denk nur an Huberman«, sage ich.
»Huberman? Kenne ich den? Hat der auch Zigeuner in der Familie?«
»Nein, dieser Pole«, sage ich. »Dieser polnische Jude, BronisÂ¥aw Huberman. Er kaufte seine Geige 1911 in London. Er ging damit nach Wien, aber dort wurde das Ding gestohlen. Zum Glück konnte die Polizei das InsÂtrument aufspüren. Doch 1936 traf es ihn erneut, da wurde seine Geige schon wieder gestohlen und später von einem Zigeuner auf einem Pariser Flohmarkt zu Âeinem Spottpreis verhökert. Derjenige, der diese Geige gekauft hat, hat Schwein gehabt.«
»Wovon redest du?«, fragt Valentine. »Welcher Trottel lässt sich seine Geige zweimal stehlen? Und warum muss ich das wissen?«
»Dieser Huberman«, antworte ich. »Ich meine, damals ist auch so eine berühmte Geige von einem Zigeuner verkauft worden.«
»Eine berühmte Geige?«, sagt Valentine. »Auch? Was faselst du da?«
»Eine von den groÃen Meistern«, sage ich. »Nicht von Stainer oder Thibout oder eine der Geigen, die hier gebaut werden, sondern ein Instrument von den echten Meistern, denen aus Cremona.«
Die beiden Gläser zittern in meiner Hand. Ich drehe mich um und bringe sie ins Bad zurück. Ich erkenne den Blick in Valentines Augen: sauer, wie früher, beleidigt, wenn nicht alles sofort lief, wie Madame es wollte.
»Warum sind wir eigentlich hier?«, fragt Valentine, als ich wieder ins Zimmer komme. Sie lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück, die Arme verschränkt. »Jetzt sag mal ehrlich. Warum sind wir nach Lorch gefahren? Warum sind wir nach Mittenwald weitergereist? Mich beschleicht langsam das Gefühl, dass wir gar nicht nur gemütlich im Urlaub sind.« Valentines Mundwinkel verschwinden in dem harten Strich ihrer Lippen. Ich würde diesen Strich gern hochziehen, aber ich weià nicht, wie.
Brüsk steht meine Schwester vom Tisch auf und macht ein paar Schritte auf mich zu.
Mein linker Arm sticht fürchterlich an der Stelle, wo ÂValentine mich geboxt hat. Meine Schwester ist endlich weg, um dieses Anti-Fitz-Shampoo zu kaufen. Ich bin zu Hause geblieben. Natürlich.
Wieder und wieder schlug Valentine auf dieselben paar Quadratzentimeter, bis mein
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