Fallkraut
Fleisch grün und blau war und die Adern im Inneren platzten. Zuerst musste ich lachen, vor Schreck, aber auch, weil es so lustig aussah, wie sie wütete. Bei jedem Hieb schoss ihr Leib ein Stück in die Höhe. Nach einer Weile begann die Stelle ernsthaft wehzutun.
»Hör auf«, rief ich und stieà sie weg. »Das ist jetzt kein Spaà mehr.« Ich versuchte, ihren Arm zu fassen und auf ihren Rücken zu drehen. Doch Valentine war schneller und schlug weiter. Bei jedem Schlag rief sie: »Geschieht dir recht. Geschieht dir recht, dass du zurückgesetzt wurdest!«
Ich packte die zarte Haut an ihrem Handgelenk und kniff zu, so fest ich konnte. Ich grub meine Nägel in ihren Hals, ergriff ein Haarbüschel und zog daran. Valentine kreischte. Sie schrie: »Miststück, Miststück, Miststück«, immer wieder, denn Valentines Wortschatz ist nicht so reich.
Die Nachbarn im Zimmer nebenan klopften an die Heizungsrohre und hämmerten an die Wand. Mir fiel nichts anderes ein, um Valentine zu beruhigen. Also zerrte ich mit aller Kraft an ihren Haaren. Ich knickte ihren Nacken nach hinten und drehte ihr das Ohr um. So, mit ihrem Ohr im Haltegriff, zwang ich Valentine zu Boden. »Und jetzt auf den Rücken«, kommandierte ich und setzte mich auf ihren Bauch. Valentine spuckte, bockte und trat, doch ich drehte einfach noch fester an ihrem Ohr. Wie früher, als wir Kinder waren.
Ja, das tut weh. Aber ich hatte keine Wahl. Ich lasse mich von niemandem zusammenschlagen.
Am Ende schrie Valentine nur noch. Sie kreischte, dass sie hoffe, ich würde entlassen werden und nie mehr eine Geige anfassen. Nie mehr. Geschieht dir recht.
Miststück.
Solche hässlichen Dinge zu sagen.
Wo ich mich so abrackere in diesem Urlaub. Seit ich zu Hause die Bahnverbindungen herausgesucht habe und mit Valentine in den Zug gestiegen bin bis jetzt. Wer muss denn immer alles regeln? Ja, diese Dame hier.
Und Valentine musste doch mal raus. Weg aus diesem Haus unter den düsteren Bäumen, weg von diesen Zimmern, vollgestopft mit Biedermeierkram und Schränken bis oben hin voller Schuhe, noch im Karton. Es waren also zwei Fliegen mit einer Klappe.
In der Tat. Ich habe ihr nicht alles ganz genau erklärt. Jeder Mensch hat so seine Beweggründe, auf Reisen zu gehen. Der eine tut es, um zu vergessen, der andere, um zu entkommen, und wiederum ein anderer, um zu suchen. Und ich bin auf der Suche.
Was ist daran schlecht.
Eine Tür schlägt. »Hier endet offensichtlich eine Spur«, ertönt Valentines Stimme. Ich höre das Rascheln einer Jacke, die aufgehängt wird, eine Tasche, die auf- und zugeht, Valentine, die sich die Nase schnäuzt, einen Stuhl, der über den Teppich geschoben wird.
»Setz dich«, sage ich.
Valentine ignoriert mich. »Jetzt, wo du mich hierher gelotst hast«, sagt sie, »kann ich zwei Dinge tun. Ich kann mir noch einmal sagen, wie raffiniert du bist. Wie du mich hast wählen lassen zwischen dem Schwarzwald und Mittenwald.« Sie wiederholt meine Worte in nörgeligem Ton. »Im Schwarzwald ist, abgesehen von den Bergen, nicht viel los, da kann man sich nur Ruderboote mieten, wäh, wäh, wäh.«
»Tu nicht so. Das macht hässlich«, sage ich.
»Ich kann wütend werden und es bleiben«, fährt Valentine fort. »Aber was habe ich davon, auÃer dass ich mein Magengeschwür füttere?«
Valentine nimmt vor dem Frisiertisch Platz, mit dem Rücken zum Spiegel. Tausende Staubteilchen tanzen in der Abendsonne, die durch das Balkonfenster hereinfällt. Der Lichtstreifen verläuft direkt neben Valentines Kopf. Es wirkt fast, als wäre meine Schwester auf Leinwand gemalt und das Licht neben ihrem Kopf der Atem des Heiligen Geists, wie man es auf alten Gemälden sieht.
»Wie appetitlich du das wieder sagst«, erwidere ich. »Dein Magengeschwür füttern. Bah.« Ich stehe auf, gehe zu meinem Koffer und wühle in meinen Sachen. »Ich bin kaputt. Ich leg mich noch mal hin.«
»Was suchst du?«, fragt Valentine.
»Kann mein Buch nicht finden. Ich dachte, ich hätte ein Buch eingepackt.«
»Was für ein Buch?«
»Ein Taschenbuch. Mit einem Clown auf dem Umschlag.«
»Nicht gesehen.«
Ich mache die Tür des Kleiderschranks auf und suche zwischen Unterhosen, Blusen und BH s. Ich weià genau, dass ich das Buch mitgenommen habe. Ich weià es so genau, weil ich
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