Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
fangen.«
»Ich verstehe. Das muss Eure Sicht auf die Dinge grundlegend verändert haben.«
»Ihr wärt überrascht«, sagte er scharf, ihr Sarkasmus machte ihn ungeduldig. »Lukys und ich kamen auf der Terrasse ins Gespräch. Er ist übrigens ein richtiger Gezeitenfürst, kein gewöhnlicher Unsterblicher. Und einer der wenigen, denen ich wirklich Hochachtung entgegenbringe … aber das ist eine andere Geschichte. Lukys war der erste Unsterbliche, der sich die Zeit nahm, mich darüber aufzuklären, in was ich da eigentlich hineingeschlittert war. Ich glaube, an diesem Tag deutete zum ersten Mal jemand an, dass ich vielleicht zu den wenigen gehörte, die die Magie der Gezeiten ganz zu beherrschen vermögen. Von Diala hätte ich garantiert nie erfahren, dass eine mögliche Nebenwirkung der Ewigen Flamme magische Kräfte waren, zumal sie selbst nur sehr wenig davon besaß. Bis dahin hatte ich noch nicht einmal versucht, irgendetwas Magisches zu tun. Ich war gerade erst von der Mission in Kenntnis gesetzt worden, die man sich für mich ausgedacht hatte, um mich in den Augen meiner Familie zu rehabilitieren.«
»Zeit schinden nützt Euch überhaupt nichts, Cayal. Jede Meile, die wir fahren, bringt Euch dem Palast von Lebec und Declan Hawkes näher.«
»Ich mache keine Ausflüchte. Ich versuche Euch etwas zu erklären, Arkady, das Euch helfen soll.«
»Oh … mein Fehler. Bitte, fahrt doch fort.«
Er sah sie finster an, nahm aber seine Erzählung wieder auf. »Lukys und ich unterhielten uns also, als Pellys plötzlich aufschrie: ›Ich hab einen!‹ Ich sah hinüber, und da stand er, triefnass, grinsend wie ein Idiot, und hielt mit der Linken einen Fisch in die Höhe. Der tat gerade seine letzten Atemzüge und wurde dann schlaff, entweder weil er erstickte oder weil Pellys ihn zu fest zusammengedrückt hatte, das kann ich nicht sagen. Jedenfalls betrachtete Pellys einen Augenblick lang seinen
Fisch, dann küsste er das tote Geschöpf mit einer Sanftheit, die mich verblüffte, und legte es sachte neben dem Springbrunnen auf den Boden. Ihm dabei zuzusehen machte mir Gänsehaut, das kann ich Euch versichern. Einen Augenblick lang streichelte er ihn noch mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht, dann vergaß er ihn und streckte die Hand wieder ins Wasser, und sein Spiel ging von vorne los.
Mir wurde ganz anders, ihm mit seinen Fischen zuzusehen. Ich weiß nicht, wie lange er das schon machte, aber es lagen eine Menge tote Fische auf dem Boden. Schließlich fragte ich Lukys: ›Warum tut er das?‹«
»Und? Was sagte er?«, fragte Arkady gespannt und ärgerte sich sogleich, wie leicht sie sich von Cayal in seine Fantasiewelt hineinziehen ließ.
Cayal beugte sich vor, sein Blick hielt sie gebannt. »Weil er unsterblich ist«, sagte Lukys. »Pellys kann es nicht am eigenen Leib erfahren, also schaut er gern anderen Lebewesen beim Sterben zu.«
Arkady starrte ihn an, dann lachte sie auf. »Wollt Ihr mir damit sagen, dass Ihr Unsterblichen alle psychotische Massenmörder seid, nicht nur Ihr persönlich?«
Cayal lehnte sich in seinem Sitz zurück und sah aus dem Fenster, sichtlich verärgert. »Wie lange dauert es noch, bis wir diesen Palast erreichen?«
Arkady sah aus dem Fenster auf die saftigen Frühlingsweiden, an denen sie vorbeifuhren. In einiger Entfernung glänzte schon der See, ein Silberstreifen im hellen Sonnenlicht. »Es dauert noch eine Weile.«
Cayal lehnte den Kopf in die Kutschenecke, schloss die Augen und gab vor zu schlafen. Eine Zeit lang sah Arkady ihn an, hin und her gerissen von ihren Gefühlen. Sie wusste, sie brauchte nur einfach nichts zu tun, und alles wäre in bester Ordnung. Sie müsste Cayal nur bei Declan Hawkes abliefern und sich seine Standpauke darüber anhören, dass sie das Risiko eingegangen war, den Gefangenen persönlich mit nur einer kleinen Eskorte Crasii zu transportieren, aber das wäre dann auch schon alles. Das Leben würde weitergehen. Sic und Stellan würden diesen Posten in Torlenien antreten und den Mann vergessen, der behauptete, unsterblich zu sein.
Oder aber sie konnte auf ihren Instinkt hören, und das fiel ihr noch nie leicht. Schon als sie beide noch Kinder waren, war Declan derjenige gewesen, der sich auf seinen Instinkt verließ, und Arkady diejenige, die erst Beweise forderte. Sie ging nicht gerne Risiken ein. Vielleicht hatten sie sich darum so gut ergänzt, als sie jünger waren. Declan war der Abenteuerlustige, Arkady die Stimme der Vernunft. Sie hatte ihn
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