Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
nichts über Tenatien oder den Verlust ihres Kindes. Das musste sie auch nicht. Die Tatsache, dass sie hier in meinem Bett lag, sagte alles über ihren Schmerz.
»Warum?«, fragte ich irgendwann, als sie nichts mehr zu erzählen hatte.
»Warum was?«
»Warum bist du nach Tenatien gereist?«
»Ich langweilte mich«, sagte sie achselzuckend. »Und ganz gleich, was man von ihnen hält, du musst zugeben, dass Syrolee und ihre Familie es verstehen, in Saus und Braus zu leben.«
»Du bist unsterblich. Du könntest dich als Gottheit aufstellen lassen, wo immer du willst, wenn du das Gefühl magst, verehrt zu werden.«
Medwen seufzte in der frostigen Dunkelheit. »Aber es ist so viel Arbeit. Und ich bin nicht wie du und Lukys. Ich kann kaum eine Kerze entzünden, selbst bei Flut. Verstehst du nicht, dass es viel einfacher ist, sich im Kielwasser von jemandem aufzuhalten, der es genießt, so etwas zu tun?«
Ich lächelte schwach und war froh über die Warme ihres Körpers. Die dünne Bettdecke, die Brynden seinen Gästen zur Verfügung stellte, hielt die Kälte nur unzureichend ab.
Obwohl unsere Körper sich anpassen, sodass wir Kälte nicht allzu sehr spüren – und ich vermute, dass wir ohne unseren unsterblichen Schutz in Bryndens eisigem Schloss durchaus an Unterkühlung hätten sterben können –, fühlte ich dennoch eine Art kalten Griff. Vielleicht war das nur Einbildung, aber ich war jedenfalls froh über Medwens Warme.
»Warum ein Kind?«
Ich spürte, wie sie die Achseln zuckte. »Ich war einsam. Ich wusste, dass das Kind irgendwann an Altersschwäche stirbt, aber ich wollte jemanden haben, der mich liebt, Cayal, selbst wenn es nur für kurze Zeit wäre.«
»Ich liebe dich, Medwen. Das weißt du.«
»Nur, weil ich hier in deinem Bett bin. Am nächsten Morgen hast du mich vergessen.«
Leider war die Bemerkung vermutlich berechtigt. »Aber ein Kind? Du wusstest doch, dass ein Baby dir nichts als Leid bereiten würde.«
»Du hättest dabei sein müssen, Cayal. Es ist nicht so leicht zu erklären.«
»Was haben die anderen gesagt, als sie erfuhren, dass Rance es an sich genommen hat?«
»Nicht viel«, antwortete sie. »Zumindest nicht in meiner Gegenwart. Engarhod war ausgesprochen herzlos. Und Elyssa erklärte, es sei bloß meine eigene Schuld.«
»Und wer brachte dann diese Katzengeschöpfe zur Welt, die Rance haben wollte?«
»Elyssa. Ich fand später heraus, dass sie die meisten der ersten Generation geboren hat. Ich glaube, sie war es leid, schwanger zu sein, weshalb Rance mich fragte.«
»Da haben sie wohl sterblichen Sklaven befohlen, mit ihr zu schlafen?«
Ich fühlte mehr, als dass ich es sah, wie Medwen an meiner Brust lächelte. »Das ist eine grausame Bemerkung.«
»Aber vermutlich wahr.«
Sie drehte sich in meinen Armen und sah zu mir auf. »Wirst du hinfahren, Cayal? Wirst du tun, worum Brynden dich gebeten hat?«
»Ich will erst noch einmal mit Lukys reden.«
»Warum?«
»Wie ich beim Abendessen schon sagte, hat er ein Talent, die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken. Du weißt schon … dieser Blickwinkel, der uns Unsterblichen leider meist fehlt.«
»Vertraust du ihm?«
Ich sah sie überrascht an. »Du nicht?«
Sie legte ihren Kopf wieder auf meine Brust, sodass ich ihren Gesichtsausdruck nicht deuten konnte. »Manchmal denke ich, dass er von uns allen der Gefährlichste ist.«
Ich lachte leise. »Lukys?«
»Er will die ganze Galaxie beherrschen.«
»Jeder Unsterbliche braucht ein Hobby, Medwen.«
Sie gab mir ungeduldig einen Klaps auf die Brust. »Ich scherze nicht, Cayal. Das ist ernst gemeint. Wir richten unsere Aufmerksamkeit auf Syrolee und Engarhod und lästern darüber, wie ihre Familie sich jedes Mal abstrampelt, wenn die Gezeiten wechseln. Wir glauben, dass Brynden und Kinta ein wenig eigentümlich sind, weil sie sich in dieser düsteren Abtei als Götter aufstellen und eine Tugend aus dieser trostlosen Enthaltsamkeit machen. Aber denk mal einen Moment darüber nach. Was fängt Lukys mit seiner Unsterblichkeit an? Er ist so mächtig wie jeder von euch, der die Gezeiten beherrscht, und doch verschwindet er oft für Jahrhunderte. Er hört nie auf, die Grenzen seiner Macht zu prüfen. Den Herrscher über die sterbliche Bevölkerung zu spielen, das interessiert ihn nicht. Und er hat es sich zum Prinzip gemacht, jedem anderen Unsterblichen dabei zu helfen, seinen Weg zu finden, sodass wir alle ihn für unseren besten Freund halten. Warum? Weil er nett ist?
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