Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
müssen sich vermehren.«
Arkady war eine Weile still und fragte sich, warum sie sich noch nie Gedanken über die sexuellen Praktiken der Crasii gemacht hatte. Aber vor allem fragte sie sich, warum sie ihm diesen ganzen Unsinn abkaufte. »Ihr hättet mich fast so weit gehabt.«
Er sah sie überrascht an. »Wie bitte?«
»Beinahe hättet Ihr mich dazu gebracht, an Magie zu glauben.«
Cayal schüttelte seufzend den Kopf. »Arkady, ich staune über Eure Fähigkeit, Beweise zu ignorieren, die ausgebreitet vor Euch liegen. Ihr seid so darauf festgelegt, das, was Ihr denkt, für real zu halten, dass Ihr die Wahrheit nicht mal dann akzeptieren könnt, wenn die abgeschlagenen Finger direkt vor Eurer Nase liegen.«
Cayal irrte sich. Arkady ignorierte überhaupt nichts. Sie wusste, dass sie sich an ein Denkgebäude klammerte, aber sie war einfach noch nicht bereit, davon zu lassen. Die Wahrheit über Cayal anzuerkennen würde bedeuten, durch eine Tür zu treten, von der Arkady Desean nicht sicher war, ob sie überhaupt den Mut besaß, sie zu öffnen. Nach allem, was sie heute erlebt hatte, mochte das absurd sein – aber es schien leichter, an ihrer alten Realität festzuhalten, als sich auf die neue einzulassen.
»Cayal, wenn Ihr die Wahrheit sagt, muss ich mich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass meine ganze Welt auf einer Lüge basiert«, räumte sie schließlich ein.
»Das ist nun wirklich nicht meine Schuld«, entgegnete Cayal mit einem Achselzucken, und ohne ein weiteres Wort drehte er sich mit dem Rücken zum Feuer und schlief auf der Stelle ein.
Am nächsten Morgen regnete es wieder in Strömen. Cayal lenkte die Gruppe südwärts und führte sie noch tiefer in die Berge. Der Weg, den sie einschlugen, war so schwer auszumachen, dass Arkady sich fragte, ob Cayal ihn sich nur einbildete. Sie waren wieder und wieder gezwungen abzusteigen, um die schmaleren und gefährlicheren Abschnitte des schlüpfrigen, überwucherten Trampelpfads zu überwinden. Hartnäckig und mit der Zuversicht eines Mannes, der genau wusste, wohin er geht und was ihn erwartet, wenn er ankommt, folgte er dem Pfad immer weiter bergan.
Der eisige Regen, der Arkadys Kleider durchweichte, griff mit nassen, kalten Fingern in jede Lücke und unter jeden Saum. Den Feliden, die durch ihr Fell geschützt waren, schien er nichts auszumachen. Arkady war für eine Bergwanderung einfach nicht zweckmäßig gekleidet. Ihr Mantel war ein sommerleichtes, hübsches Gewand und nicht dafür gedacht, einen Körper vor Dauerregen zu schützen oder den rauen Winden zu trotzen, die zwischen den Gipfeln des Shevrongebirges pfiffen und heulten. Und ihre hochhackigen Stiefel waren zum Reiten ungeeignet, aber noch unpassender für das Gehen auf holprigem Untergrund oder zum Klettern durch enge Schluchten.
Erschöpft, mit Blasen an den Füßen, wund gescheuerten Schenkeln, blauen Lippen und gefühllosen Fingern brauchte Arkady einen Moment, um zu begreifen, dass sie angehalten hatten, als Cayal bei Einbruch der Dämmerung das Signal zum Rasten gab.
Es waren drei Tage vergangen, seit sie Clydens Gasthaus verlassen hatten. Arkady hatte es aufgegeben, ihre gegenwärtige Position analytisch zu durchdenken. Sie war zu müde und zu überanstrengt, um sich damit zu befassen. Ihr nacktes Überleben verlangte jetzt mehr Aufmerksamkeit als müßige philosophische Streitfragen. Unsterbliche existieren, beschloss Arkady, sank auf dem steinigen Plateau, das Cayal als Lagerplatz ausgewählt hatte, in die Knie und befand, das es ihr herzlich schnuppe war.
»Bei den Gezeiten!«, rief Cayal, als Arkady zusammenbrach. »Seht Euch an! Ihr seid völlig durchgefroren! Warum habt Ihr kein Wort gesagt?«
Sie sah durch ihre vom Wind tränenden Augen verschwommen zu ihm auf. »Hättet Ihr angehalten?«
Cayal antwortete nicht. Stattdessen fluchte er ungeduldig und befahl den Crasii, sich um die Pferde zu kümmern und ein Lager zu errichten, während er Arkady auf die Beine half und sie zur windgeschützten Seite des Felsvorsprungs hinter ihnen führte. Es gab da eine flache Vertiefung in der Felswand; nicht tief genug, um es eine Höhle zu nennen, aber ausreichend, um etwas Schutz vor dem Regen zu bieten. Er zog sie dicht an sich heran und begann energisch ihre Oberarme zu reiben, um die Blutzirkulation anzuregen.
»Eure Hände sind so warm«, stellte sie überrascht mit klappernden Zähnen fest, froh über das bisschen Wärme, das er anbieten konnte.
»Noch ein Vorteil der
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