Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
tolerierte ihre Freundschaft mit Declan Hawkes, aber aus offensichtlichen Gründen machte ihn Arkadys Vertrautheit mit dem Ersten Spion des Königs doch recht nervös. Unzählige Male hatte sie Stellan schon versichert, dass sein Geheimnis bei ihr gut aufgehoben war und ihr alter Freund von ihr nichts darüber erfahren würde, aber Sorgen machte er sich trotzdem. Declan hatte nie etwas getan oder verlauten lassen, das darauf hinwies, aber insgeheim mutmaßte Arkady, dass er über ihren Gemahl Bescheid wusste.
Sie löste sich aus seiner Umarmung und sah ihn erwartungsvoll an. Regentropfen schlugen gegen die hohen Fenster auf beiden Seiten des offenen Kamins, aber der Regen war nicht mehr annähernd so heftig wie der Gewitterguss mit Blitz und Donner früher am Abend.
»Also, was machst du hier? Ich wage ja gar nicht zu hoffen, dass du nur zum Vergnügen gekommen bist, um meine Gesellschaft zu genießen.«
»Ich bin hier, weil ich deinen Rat als Expertin brauche.«
Arkady sah ihn seltsam an. »Als Expertin?«
»Erinnerst du dich an einen schrecklichen Mord im Dorf Rindova vor einigen Monaten?«, fragte er. »Eine ganze Familie, sieben Brüder wurden abgeschlachtet.«
Die Frage wunderte und verwirrte sie. Mit so etwas hatte sie am allerwenigsten gerechnet. »Natürlich. Der Mörder war ein Fremder, nicht wahr? Ein caelischer Handelsreisender oder etwas in der Art? Hatten sie ihn nicht auf frischer Tat ertappt, noch über seine Opfer gebeugt, über und über mit ihrem Blut bespritzt?«
»Genau so war es«, bestätigte der Erste Spion. »Ein Wagenschmied aus Caelum, sein Name ist Kyle Lakesh. Er wurde für die Morde verurteilt.«
»Gab es ein Problem mit seinem Prozess?« Arkady sah Stellan an. »Hast du deshalb heute den caelischen Gesandten eingeladen?«
»Es gibt in der Tat ein Problem, Arkady«, erklärte Declan, »aber der Gesandte hat nichts damit zu tun. Zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht. Der Mörder wurde vor einigen Tagen gehängt.«
»Und jetzt ist der Gesandte verärgert, weil wir einen seiner Bürger hingerichtet haben?«
»Er hat keinen Grund, verärgert zu sein«, bemerkte Stellan und schnippte ein imaginäres Stäubchen von seinen Beinkleidern. »Denn er ist nicht gestorben.«
»Wer ist nicht gestorben?«
»Lakesh«, sagte Declan. »Der Mörder. Sie haben ihn gehängt, und er hat überlebt.«
»Du meinst, der Henker hat es vermasselt?«, fragte sie, nicht sicher, ob sie verstand, worauf die beiden hinauswollten.
»Nein, soweit ich das beurteilen kann, hat der Henker gute Arbeit geleistet. Nur hat sich der Mann einfach geweigert zu sterben.«
Arkady sah ihren Gemahl an, in der Hoffnung, ein belustigtes Glitzern in seinen Augen zu entdecken – es musste sich doch einfach um einen Scherz handeln. Aber Stellans Miene war ernst. Und auch die von Declan Hawkes.
»Wie konnte er sich weigern zu sterben?«, fragte sie und sah zwischen den beiden Männern hin und her. »Gibt es da nicht irgendwelche Vorkehrungen – dass der Henker dem Delinquenten den Todesstoß versetzt, wenn die Hinrichtung nicht erfolgreich war?«
»Das gilt nur für militärische Exekutionen«, korrigierte Stellan. »Hier handelt es sich um eine Zivilstrafe. Der Mann wurde gehängt. Das ist manchmal eine hässliche Angelegenheit, kann aber praktisch nicht falsch gemacht werden. Für so einen Fall existieren keine alternativen Vorschriften, weil es so gut wie nie vorkommt.«
»Was ist also in diesem Fall geschehen?«
Declan hob sein Brandyglas von der marmornen Kaminbrüstung und nahm einen tiefen Schluck. Aus dem Augenwinkel registrierte Arkady, dass der Regen am Fenster inzwischen fast aufgehört hatte.
»Lakesh zufolge ist sein wirklicher Name Cayal, und dass er nicht gestorben ist, liegt daran, dass er unsterblich ist.«
Arkady lachte. »Cayal, hast du gesagt? So wie Cayal, der unsterbliche Prinz? Der Prinz der Gezeiten? Die berühmte Heldenfigur der alten Mythen?« Sie schüttelte den Kopf und fragte sich, ob Declan sich diesen Scherz ausgedacht hatte und ihr Gemahl mitspielte, um sich kurzfristig von der gähnenden Langeweile des Hoflebens abzulenken. Vielleicht steckte auch Jaxyn dahinter, das Ganze klang eigentlich sehr nach einem seiner Streiche. Nur konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Declan bei etwas mitmachte, das auf Jaxyn Aranvilles Mist gewachsen war. »Da brauchst du nicht mich, Declan, sondern Tilly Ponting und ihr magisches Tarot.«
»Ich bin da genauso skeptisch wie du,
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