Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
aber sie schien abgeneigt, ihre Familiennamen preiszugeben.
»Wo übernachtest du?«, fragte sie stattdessen.
»Eigentlich nirgendwo«, sagte er und rätselte ein wenig darüber, warum sie ihm nicht sagen wollte, wer ihr Vater- und ihr Muttertier waren. Wo Warlock herkam, galt so ein Benehmen als Gipfel der schlechten Manieren.
»Dann kommst du wohl besser mit«, schlug sie vor und wandte sich dem Eingang der Gasse zu. »Du kannst bei mir übernachten. Hast du schon was gegessen? Ich konnte deinen Magen schon von der anderen Straßenseite knurren hören.«
Angesichts seines Hungers und ihres moschusartigen Dufts konnte er sich nichts vorstellen, was er lieber täte, aber ihr Angebot war zu beiläufig, um echt zu sein. Oder vielleicht handhabte man diese Dinge hier in der Stadt einfach anders? Die geruhsame Ordnung von Lord Ordrys Haushalt schien sehr weit weg von diesem fremdartigen Ort.
Als sie merkte, dass er ihr nicht folgte, blieb sie stehen und warf ihm über die Schulter einen Blick zu. »Was ist? Ist meine Behausung nicht gut genug für dich, Hofhund?«
»Warum nennst du mich andauernd so?«
»Weil man es meilenweit sieht.« Sie grinste unvermittelt. »Und ich meine nicht bloß dein ziemlich eindrucksvolles Beschälergerät, Hofhund.«
Warlock blickte verwirrt an seinem Fell herunter. » Was?«
»Du trägst keine Klamotten«, sagte Boots und verdrehte die Augen über seine Begriffsstutzigkeit. »Auf dem Landsitz seiner Lordschaft kannst du vielleicht mit nichts als dem Fell, das die Mutter dir gab, herumstolzieren. Aber hier in der großen Stadt, mein ahnungsloser Freund, sind die Herren nicht so kulant. Um die Wahrheit zu sagen, wir dachten, dass du deshalb festgenommen wurdest.«
»Du hast mich verfolgt, weil ich nicht so angezogen bin wie du?«
»Du bist überhaupt nicht angezogen«, erinnerte sie ihn. »Und fürs Protokoll, ich bin dir gefolgt, weil man es mir aufgetragen hat.«
»Wer?«
»Jemand, der den Crasii treffen will, auf den der Fürst von Lebec hört.«
»Ich sagte dir bereits, dass ich ihn nicht kenne. Ich hab ihn heute zum ersten Mal gesehen.«
»Was auf jeden Fall mindestens einmal mehr ist, als der Rest von uns sagen kann, Hofhund.«
Er runzelte missbilligend die Stirn. »Mein Name ist Warlock.«
»Zucht von Bella, gedeckt von Segura«, beendete sie seinen Satz mit einem Lächeln. »Ich weiß. Ich hab’s schon beim ersten Mal verstanden. Ein Rat, mein Freund. In dieser Gegend hier sind wir nicht so verliebt in unseren Stammbaum wie du.«
»Er zeigt, wer ich bin.«
»Was schön und gut ist, wenn du weißt, wer du bist. Einige von uns genießen diesen Luxus nicht.«
Warlock starrte sie an. Tief bestürzt begriff er, dass sie ihm bei der Begrüßung ihre Herkunft vielleicht deshalb nicht genannt hatte, weil sie sie gar nicht kannte.
»Es tut mir leid …«, stotterte er verlegen. »Ich … ich … wollte keinesfalls über dein … dein Missgeschick …«
Boots lachte auf. »Missgeschick? Junge, Junge! Im Zwinger werden sie dich einfach Heben.«
»Was ist der Zwinger?«
»Da wohne ich. Ich und die anderen Streuner der Stadt«, sagte sie.
»Du hast keinen Herrn?«
»Ich könnte wohl kaum um diese Zeit durch die Straßen von Lebec strolchen und dir folgen, wenn ich einen hätte, oder? Kommst du nun mit oder nicht?«
Warlock zögerte. Er war nicht sicher, ob er sich einen solchen Umweg leisten konnte. Er wollte Shalimar finden. Er suchte einen Weg hinaus aus Lebec und keine Wohnung an diesem Ort. Ein Zwinger voller Streuner in den Slums war für seine Pläne so abwegig wie nur irgendwas.
Andererseits hatte Boots recht.
Er war hungrig, hatte keine Bleibe und wusste so wenig über die Stadt, dass er sogar seine Kleidung einfach am Straßenrand hegen gelassen hatte.
Außerdem war ihr Duft bereits genug, um ihn alle anderen Absichten vergessen zu lassen. Das wurmte Warlock ein bisschen: Ganz gleich, wie viel Bildung oder gute Zucht er besaß, er war immer noch ein Canide, und dieses Mädchen, das ihn zu sich einlud, stand nur ein paar Tage vor ihrer Hitze.
Langsam, beinah widerstrebend nickte Warlock. Sie wandte sich wieder der Gasse zu und bückte erst in alle Richtungen, bevor sie aus dem Schatten trat. Warlock folgte ihr und sagte sich, dass es doch keine schlechte Idee war, mit Boots mitzugehen.
Vielleicht hatte ja irgendjemand im Zwinger von Shalimar gehört.
46
Der Zwinger in den Slums von Lebec erwies sich als ein altes Lagerhaus, das ursprünglich als
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