Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
umgeben war, musste zugeben, dass Cayal hervorstach, wo immer er sich aufhielt -unsterblich oder nicht.
Diese Grübeleien hatten jedoch einen gefährlichen Nebeneffekt. Arkady versuchte die Gedanken zu verscheuchen, als sie anfing, ein wenig zu heftig über seine körperlichen Vorzüge zu sinnieren. Auch wenn sie einen Großteil ihres Lebens damit verbracht hatte, ihre Gefühle fest unter Verschluss zu halten, war Arkady eine Frau in der Blüte ihrer Jahre. Sie erinnerte sich noch genau, wie sie Cayal zum ersten Mal gesehen hatte. Was ihr im Gedächtnis haften blieb, war nicht der Gestank des Rückfälligentrakts, nicht die Kälte des Mauerwerks oder die Dunkelheit der Zellen. Woran sie sich am lebhaftesten erinnerte, war, wie Cayal die Augen aufschlug und ihr ins Gesicht sah.
Sein Bück hatte sie erschreckt. Er war so eindringlich, so offen fordernd, so voller nackter Begierde, dass sie vor Bestürzung beinah einen Satz rückwärts gemacht hätte. Das Ganze hatte höchstens ein oder zwei Sekunden gedauert. Dann blinzelte er, wurde vollends wach, und der Augenblick war vorbei.
Arkady hatte nachts wach gelegen und gegrübelt, was das zu bedeuten hatte; sie hatte sich eine Närrin genannt und dann wieder gewünscht, sie wäre naiv genug zu glauben, dass in diesem Leben jeder Mann sie immer auf diese Art ansehen und es auch so meinen würde. Arkady wusste, dass dieser Blick nicht ihr gegolten hatte. Cayal hatte geträumt. Dieser Blick, diese Begierde waren für jemand anders bestimmt, für jemanden in seinen Träumen.
Vielleicht Amaleta! Die Geliebte, von der im Tarot die Rede war?
Arkady wünschte, sie wüsste es genau. Sie wünschte, sie hätte den Mut, ihn danach zu fragen.
Nach ungefähr drei Meilen wurde der Weg für kurze Zeit noch ein wenig breiter und dann plötzlich wieder sehr schmal. Genau an dieser Stelle gab Cayal den Befehl zum Anhalten. Der Pfad vor ihnen führte zwischen die Bäume, bog dann nach links ab und verlor sich im dichten Unterholz.
»Stimmt etwas nicht, Herr?«, fragte Chikita, als Cayal absaß.
»Die Fürstin und ich gehen von hier aus zu Fuß weiter«, kündigte Cayal an. »Du begleitest uns, Chikita. Die Übrigen bilden eine Verteidigungslinie. Lasst nach uns niemanden diesen Weg herauf, bis ich es befehle. Ist das klar?«
Die Feliden nickten und saßen prompt ab. Arkady starrte sie an. Der unerschütterliche blinde Gehorsam ihrer Crasii gegenüber einem dahergelaufenen Fremden machte ihr immer noch schwer zu schaffen.
»Bereit für einen kleinen Spaziergang?«, fragte Cayal und kehrte den Feliden den Rücken.
»Wohin gehen wir?«
»Zu Maralyce.«
Arkady schwang ihr Bein über den Sattelknauf und ließ sich von Cayal beim Absteigen helfen. Seine Arme waren stark, als er sie herunterhob, sein Gesicht so nah an ihrem, dass sie die feinen Poren seiner Haut hätte zählen können. Sie errötete und schaute weg. Cayal hielt sie einen Augenblick länger fest als unbedingt notwendig und ließ sie dann los. Er wandte sich ab und wies die Crasii an, ein provisorisches Lager zu errichten.
Nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichten Cayal, Arkady und Chikita ihr Ziel, das sich als kleine, aber stabile Bergarbeiterhütte erwies, die in den Windschatten einer kleinen Klippe gebaut war. Darüber ragte der verschneite Gipfel eines Berges auf. Sie rochen den Holzrauch, noch ehe sie um die letzte Biegung kamen, sodass Arkady nicht überrascht war. Die Niederlassung schien schon sehr lange bewohnt zu sein. Auf dem zertrampelten, schmutzigen Hof lagen überall ausrangierte Teile von kaputtgegangenem Minengerät, das Arkady nicht hätte benennen können.
Die Hütte stand linker Hand. Sie hatte zum Hof hin zwei Fenster mit geschlossenen Läden. Gleich daneben gab es eine kleine Schmiede. Auf der rechten Seite sah man den Eingang zu einem Stollen, abgestützt von Holzplanken, die aussahen, als würden sie jeden Moment zusammenbrechen. Aus der Schmiede drang das rhythmische Geräusch von Metall auf Metall. Es hallte von der Klippe hinter der Hütte wider und brachte die Bergluft zum Klingen, ein metallenes Lied.
Arkady sah sich um und fragte sich, warum jemand freiwillig an einem so abgeschiedenen Ort lebte. Cayal blieb einfach stehen und wartete. Er gab ihr und der Crasii ein Zeichen, es ihm gleichzutun. Er sagte nichts und tat nichts, offenbar hatte er vor zu warten, bis man sie bemerkte. Chikita wirkte unerklärlich nervös, das Haar an ihrem Nacken hatte sich aufgestellt, ihre Krallen waren
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