Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
trennte, blieb stehen und betrachtete ihn eine Weile. Sein Profil sah im Licht des Feuers aus wie in Gold getaucht.
»Sieht er gut aus?«, hatte Kylia Arkady einst gefragt.
Kylia wäre von Cayal, dem unsterblichen Prinzen, nicht enttäuscht gewesen, dachte Arkady.
Sie musste sich bewegt oder irgendein Geräusch gemacht haben, wodurch er ihre Gegenwart bemerkte. Er sah auf und wischte sich hastig über die Augen.
Staunend begriff Arkady, dass Cayal geweint hatte.
»Cayal? Alles in Ordnung?«
Er sah weg und rieb sich die Augen; beschämt, in einem Moment der Schwäche ertappt worden zu sein. »Geht wieder ins Bett, Arkady.«
Sic durchquerte den Raum und hockte sich zu ihm ans Feuer. »Cayal …«
»Lasst mich allein.«
»Stimmt etwas nicht?«
Zu ihrer Überraschung lachte er bitter. »Stimmt etwas nicht? Ob etwas nicht stimmt? Ihr habt wirklich keine Ahnung, was passiert, wenn die Gezeiten wechseln, oder?«
»Dann erklärt es mir.«
»Ich habe es Euch schon erklärt, Arkady. Ihr glaubt mir nicht.«
»Ich will Euch nicht glauben, Cayal. Das ist ein Unterschied«, erwiderte sie.
»Ihr habt ja Angst«, folgerte er in einem Ton, der Arkady seltsam berührte.
Sie nickte. »Ist es so offensichtlich?«
»Bei Euch? Eigentlich nicht. Aber es ist das, was Euch am meisten von mir unterscheidet, Arkady. Ihr seid fähig, Euch zu furchten.«
Seine Arroganz war so berechenbar, dass es schon fast amüsant war. »Und Ihr habt vor gar nichts Angst, nehme ich an?«
»Was gibt es denn, wovor ich Angst haben könnte?«, fragte er mit einem Achselzucken. »Ich bin unsterblich, und die Wurzel aller menschlichen Ängste ist die Furcht vor dem Tod.«
»Das ist eine unsinnige Verallgemeinerung.«
»Ach ja? Denkt einen Augenblick darüber nach. Ein Mensch mit Höhenangst hat keine Angst vor der Höhe als solcher – eigentlich hat er Angst, in den Tod zu stürzen. Und niemand hat wirklich Angst vor Spinnen, man hat bloß Angst, gebissen zu werden und daran zu sterben. Selbst ein Kind, das seine Mutter wegen einer Nichtigkeit anlügt, lügt nicht aus Angst, erwischt zu werden. Es lügt, weil es – in seinem tiefsten Innern – Angst hat, einen Elternteil zu verärgern. Wenn das Überleben vom Wohlwollen der Mutter abhängt, kann der Verlust ihres Schutzes verhängnisvoll sein.«
»Und da Ihr Euch nicht vor dem Tod furchtet, seid Ihr nicht mehr menschlich. Ist es das, was Ihr glaubt?« Sie betrachtete sein Profil im Schein des Feuers und bemerkte ein wenig überrascht, wie ernst er aussah. »Glaubt Ihr, dass Ihr nicht mehr menschlich seid?«
»Ich weiß es«, antwortete er mit bitterer Gewissheit. »Zur Hölle! Ich kann sogar exakt den Zeitpunkt benennen, in dem mich das letzte bisschen Menschlichkeit verließ. Unglücklicherweise macht einen die Unsterblichkeit nicht vergesslicher.«
»Und wann war das?«
Er schüttelte den Kopf. »Das spielt keine Rolle.«
»Doch, es spielt eine Rolle. Ihr wollt, dass ich Euch glaube. Also erzählt mir etwas, das ich glauben kann, und nicht das, wovon Ihr glaubt, dass ich es hören will.«
»Und was?«
Arkady hatte das nicht erwartet. Sie dachte einen Moment darüber nach, während sie sich neben ihm auf dem Boden zurechtsetzte, dann fiel ihr Maralyces Bemerkung über Cayals Geliebte ein.
»Amaleta«, sagte sie. »Erzählt mir von Amaleta.«
»Warum interessiert Ihr Euch für sie?«
»War sie nicht die große Liebe Eures Lebens?«
»Nein.«
»Aber das Tarot …«
Er lächelte schwach. »Ich dachte, wir hätten uns inzwischen darüber verständigt, dass Eure Tarotkarten eine Fuhre alter Mist sind.«
»Wie ist dann die Geschichte entstanden?«
Er richtete sich auf, um das Feuer zu schüren. Die Flammen griffen auf das frische Holz über, als er die rot glühende Kohle nach oben schaufelte. »So wie alle anderen Geschichten auch, nehme ich an. Jemand nahm ein Körnchen Wahrheit und gab es weiter an ein Dutzend andere, die es alle schön verdrehten und zu einer Legende machten.«
»Erzählt Ihr mir, was wirklich passiert ist?«
Er warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Werdet Ihr mir glauben?«, fragte er sie.
Sie nickte langsam. »Ja, Cayal. Ich denke schon.«
Er hockte sich auf die Fersen. »Warum wollt Ihr wissen, was Amaleta zustieß?«
»Ich will es verstehen.«
»Selbst wenn es bedeutet, dass Ihr mich nicht mehr mögt, nachdem Ihr diese spezielle Geschichte gehört habt?«
Arkady lächelte. »Wie kommt Ihr darauf, dass ich Euch jetzt mag?«
Cayal betrachtete sie eine
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