Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
Hieben wankte, aber keine Anstalten machte, auszuweichen. Cayal konnte noch nicht weit sein. Jaxyn spürte ihn noch in den Gezeiten, und nach Maralyces schadenfroher Miene zu schließen, hatte er sicher in ihrem Stollen Zuflucht gesucht.
»Sucht die Fürstin und bewacht sie gut!«, befahl er den Feliden. »Ich hole ihn mir.«
»Wenn du meine Mine beschädigst, ziehe ich dir die Haut ab, Jaxyn«, warnte Maralyce, als er einer Feliden eine der verbliebenen Fackeln entriss und sich dem dunklen Schlund von Maralyces endlosen Tunneln zuwandte.
»Friss Dreck«, sagte er und trat an den Stolleneingang. Er musste sich bücken, um die Mine zu betreten. All diese Macht, und sie verschwendet sie einfach, lebt wie eine Mittellose und buddelt unter Tage in einer Mine herum, die mittlerweile so groß sein muss, dass der ganze verdammte Berg einzustürzen droht, und hortet Gold, das sie niemals auszugeben gedenkt. Vielleicht kamen sie und Cayal deswegen so gut miteinander aus.
Sie sind beide Idioten.
Jaxyn war kaum hundert Schritte in dem Tunnel, als eine rostige Kette der Länge nach durch den Gang sauste und ihn an der Stirn traf. Behutsam tupfte er seine blutende Schläfe, bis sie verheilt war. Da hörte er ein schwaches Geräusch, sah auf und konnte nur knapp dem nächsten Geschoss ausweichen. Es flog so schnell, dass er nicht hätte sagen können, was es war.
Dann wurde ihm klar, dass die Fackel ihn in der Dunkelheit zum idealen Ziel machte. Er warf sie zur Seite und schloss die Augen, damit sie sich umstellen konnten und um Cayal vor sich besser spüren zu können. Er vermochte ihn nicht genau zu lokalisieren – bei dem niedrigen Stand der Gezeiten war es noch schwer, die Störung auszumachen, die der andere Gezeitenfürst verursachte – aber er war da, irgendwo vor ihm, und stellte vermutlich bei jeder Kurve Fallen.
Es war dumm gewesen, ihm in die Mine zu folgen, erkannte Jaxyn jetzt. Hier war Cayal der Angreifer. Er hatte die bessere Ausgangsposition.
Also müssen wir die Ausgangslage ändern, entschied er und öffnete die Augen. Jaxyn glitt in die Gezeitenströmung und wob flugs eine Mauer aus Luft um seinen Körper, bis sie nahezu stabil war. Er würde kein zweites Mal Opfer von Cayals fliegenden Trümmern werden.
Dann schob er sich weiter voran, ließ sich von der stillen Dunkelheit einhüllen und konzentrierte sich mehr auf die Gezeiten als auf die Mine. Jaxyn hoffte, dass die Dünung ihn rechtzeitig warnte, sobald Cayal Gezeitenmagie einsetzte. Es war eine optimistische Hoffnung. Bestenfalls blieben ihm Sekundenbruchteile, bevor ihn etwas traf. Andererseits, wenn er Cayal – der bereits viel tiefer in das Tunnellabyrinth vorgedrungen war als er – erst mal aufgespürt hatte, mochte ein Sekundenbruchteil alles sein, was er brauchte.
Ein kratzendes Geräusch vor ihm erregte seine Aufmerksamkeit. Er ignorierte es, ziemlich sicher, dass Cayal nur versuchte, ihn zu verwirren. Der unsterbliche Prinz war nicht dumm. Vielleicht albern, gefühlsduselig und nach Jaxyns Maßstäben übertrieben heikel, aber keineswegs dumm. Auf alle Fälle zu gerissen, um ein Geräusch zu machen, das Jaxyn nicht hören sollte.
Die Dunkelheit wurde immer dichter, je tiefer Jaxyn in die Mine vordrang. Die eisige Nachtluft wich bald warmer, ranziger Feuchtigkeit. Der Stollen neigte sich eine Zeit lang schräg nach unten und mündete schließlich in einer Verzweigung. Drei Tunnel führten vom Hauptschacht weg. Er blieb stehen und tastete lieber in den Gezeiten nach Cayal, statt auf ein verräterisches Zeichen von ihm zu warten. Cayal musste jetzt ein ziemliches Stück vor ihm sein, denn die Kräuselungen in den Gezeiten, die sein Durchgang verursacht hatte, wurden mit jedem verstreichenden Moment schwächer. Jaxyn hastete in den Tunnel zu seiner Rechten, sicher, dass er ihn dort gespürt hatte.
Dieser Schacht fiel steil ab. Jaxyn nahm ihn im Laufschritt, teils aus Eifer, Cayal zu fassen zu kriegen, und teils, weil das Gefalle ihm kaum eine andere Möglichkeit ließ. Aus Sorge, in irgendein verborgenes Loch zu stürzen, versuchte er sein Vorrücken zu verlangsamen, indem er seine Hände an die Seitenwände des Tunnels presste, was ihm zu seinem Ärger wenig mehr einbrachte als ein paar prachtvolle Splitter.
Der Schacht nahm kein Ende. Er fragte sich schon, ob Maralyce diesen Tunnel bis zum Mittelpunkt des Berges getrieben hatte, da stolperte er beinah über einen herabgefallenen Balken, bog um eine Kurve und erreichte die nächste
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